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Zurück zu Dir.

Wir alle haben in unserem Rucksack schöne, einschneidende, ganz besondere, gute und auch weniger gute Erfahrungen, emotionale Wunden, Enttäuschungen, Ängste, limitierende Gedanken… Worte, Emotionen und Situationen, die uns triggern… Gedanken, die wir für die unumstößliche Wahrheit halten, die aber möglicherweise lediglich das sind, was wir durch unseren persönlichen Filter, basierend auf unseren Erfahrungen sehen wollen… oder können…


... bis wir eines Tages hoffentlich bemerken, daß wir eine Brille tragen, die wir auch wieder abnehmen können.


Die inkompatiblen Gefühle und schlechten Erfahrungen sitzen meist tief und steuern uns nicht selten wie ein kleiner innerer Pilot, ohne, daß wir uns dessen bewußt sind. Die Co - Abhängigkeit hat mich misstrauisch, dünnhäutig und unsicher werden lassen. In dem Glauben, das Unkontrollierbare kontrollieren zu können und die „Zügel“ in der Hand zu haben, hatte ich mich mit der Zeit in ein Rädchen verwandelt, das sich wie mechanisch in dem Suchtsystem, das zu meinem Leben geworden war, drehte.


Ich hatte begonnen der Angst bedingungslos zu folgen, meine Intuition Lügen zu strafen und mich zunehmend und immer selbstverständlicher von den Manipulationen meines alkoholkranken Partners verunsichern zu lassen.


All das tat ich in dem Glauben, daß ich verantwortungsvoll handelte, da ich mich ja so aufopferungsvoll um „ihn“ kümmerte. Doch in Wahrheit hatte ich eine Opferrolle eingenommen, ohne es überhaupt zu bemerken.


Warum?


Weil ich mein Glück bedingungslos an etwas geknüpft hatte, das ich nicht beeinflussen konnte: seine Versprechen, seine Einsicht und seine Nüchternheit.


Ich fokussierte mich auf ihn und seine Probleme, anstatt mir die Frage zu stellen, was ich für mich aufzulösen hatte? Welche Erfahrungen aus der Vergangenheit haben dazu beigetragen, daß ich hier gelandet bin und mir diese Realität in gewisser Weise mit - erschaffen hatte? Welche Ängste hielten mich davon ab, endlich Konsequenzen zu ziehen? War es nicht höchste Zeit mir einzugestehen, daß ich im Glauben Verantwortung für IHN zu übernehmen, perfekt ausblenden konnte, daß es höchste Zeit war, die Verantwortung für mich zu übernehmen?



Er war abhängig vom Alkohol und ich war abhängig von ihm.


Von seinem Zustand


Von seinen guten Phasen


Davon, daß er die emotionalen Wunden, die er mir zufügte auch wieder verarztete


Von der vermeintlichen Sicherheit einer gemeinsamen Zukunft


Von seiner Zuneigung


Von seinen Liebesbeteuerungen


Von meiner Hoffnung


Irgendwann traute ich mich, mir die Frage zu stellen, ob es möglicherweise kein Zufall gewesen war, daß wir in dieser Konstellation zusammen gefunden haben. Zwar wußte ich nicht, daß er schwerer Alkoholiker ist, da er das zu Anfang unserer Beziehung sehr gut kaschieren konnte, aber diese ganze Aura des Mangels, die ihn umgab, fand in mir möglicherweise unbewußt den passenden Gegenpart, weil ich auf jemanden getroffen war, der sich einerseits stark gab und mir andererseits „ermöglichte“, mich unentbehrlich zu machen.


All das lief nicht bewußt ab, aber ich denke, daß es genau so war. Ich fand für mich heraus, daß ich in gegenseitiger Abhängigkeit die Basis für Sicherheit sah und mir darüber hinaus nicht zutraute, mein Leben ohne Beziehung meistern zu können. Ich hatte unglaubliche Verlustängste und war zudem noch nie zuvor alleine, also ohne einen Partner gewesen.


Da war sie, meine nackte, ungeschminkte Wahrheit, die ich so lange gekonnt verdrängt hatte, indem ich sie mit meinen vertrauten Strategien umschiffte, anstatt ihr in die Augen zu sehen.


Natürlich konnte ich, genau so wie jeder andere Betroffene nichts dafür, daß mein Partner Alkoholiker war. Aber es geht auch nicht um Schuld, sondern darum Verantwortung zu übernehmen. Für sich, sein Glück, sein Leben und das Hier und Jetzt.


Ich erkannte, daß ich mich genau diesen Ängsten stellen mußte, wenn ich emotional frei werden und in der Lage sein wollte, Entscheidungen zu treffen, die mit meinem Bauchgefühl im Einklang waren.


Zuvor hatte ich Kompromisse gemacht, die mehr als faul waren, mich überangepasst und mir währenddessen eingeredet, ich täte das nur für ihn, doch in Wahrheit tat ich das auch für mich, weil ich meine Ängste auf diese Weise sehr gut in Schach halten konnte: „Ohne ihn schaffe ich es nicht… wenn wir uns trennen muß ich alleine wieder von vorne anfangen… und das mit Anfang vierzig… und eigentlich liebt er mich doch… und braucht mich… und ich ihn… vielleicht bleibe ich sonst für immer alleine…“


Doch bei allem „Hätte, Wollte, Sollte“ war ich nicht nur so unglücklich wie niemals zuvor, hatte meinen inneren Frieden verloren, meine sozialen Kontakte weitestgehend auf Eis gelegt, meine Werte, meine Unbeschwertheit und mein Vertrauen verloren und lebte in einer permanent toxischen Atmosphäre, sondern war zudem auch körperlich absolut ausgebrannt.


Ich war nicht mehr bereit diesen viel zu hohen Preis zu zahlen, dafür daß er ab und zu eine gute Phase hatte, in der sich dann letztendlich auch alles um ihn drehte.


Ich mußte funktionieren. 24/7. Ob er gut oder schlecht drauf war.


Ich reagierte irgendwann nur noch auf seine Bedürfnisse und hatte verlernt meine wahr - und auch ernst zunehmen.


Er forderte meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit und zwar zu seinen Bedingungen. War er gut drauf, mußte ich es auch sein. Wollte er Zeit mit mir verbringen, sollte ich sofort alles stehen und liegen lassen. Wollte er heimlich trinken, hatte ich bitte keine unbequemen Fragen zu stellen und ihn in Ruhe zu lassen. Wuchsen ihm die Folgen seiner Trinkerei wieder über den Kopf, durfte ich aber gerne die Scherben zusammenkehren. Hatte er eine gute Phase, sollten seine Krankheit, sowie seine daraus resultierenden Probleme, die er gerne zu meinen machte, nicht erwähnt werden… solange bis er wieder jemanden brauchte, der ihm beisteht, wenn er seine Wunden leckte.


War das wirklich das Leben, an das ich mich weiterhin so verzweifelt klammern wollte?

Ich ließ die hübsch verpackte, glorifizierte Wunschvorstellung von ihm und unserer Beziehung los und begann zu schwimmen. Alleine.


Ich wollte mich meinen Ängsten stellen, um wieder frei entscheiden und zu meinem authentischen Selbst zurückfinden zu können.


Es war als steckte ich fest. Ich fühlte mich wie gelähmt und irgendwie in meinem eigenen Leben fehl am Platz.


Diese Ohnmachtsgefühle sind für uns weitaus stressiger, als zu viel Arbeit. Wir können das ändern, indem wir uns auf das fokussieren, was wir tatsächlich beeinflussen können, und unser Glück wieder selber in die Hand nehmen, anstatt uns in unserem eigenen Leben mit einer Statistenrolle zufrieden zu geben.


Dann heißt es, sich gegebenenfalls über die Normen und Werte anderer hinwegzusetzen und sich die Frage zu stellen:


„Was sind meine besonderen Fähigkeiten, und welche Werte sollten in meinem Leben (wieder) im Vordergrund stehen? Welche Erfahrungen sind es, die mich handeln und fühlen lassen, so daß es mir heute Probleme bereitet? Welche Glaubenssätze, Schuldgefühle, Ängste und Geschichten, die ich mir über mich erzähle, hindern mich daran, bei mir anzukommen? Wann habe ich mein Vertrauen verloren, meine Talente vergessen, damit angefangen, alles was mir leicht fällt nicht wert zu schätzen und an mir zu zweifeln? Warum lasse ich mir so leicht Schuldgefühle einreden und ziehe mir einen Schuh an, nur weil man ihn mir hinschmeißt?"


Dann ist es ist höchste Zeit sich zu erinnern wer man war, und was einen ausgemacht hat, bevor man unglücklich, unzufrieden, oder unsicher wurde.


Da ich es geschafft habe, mir selber zu beweisen, daß ich es auch alleine schaffe und ich darüber hinaus keine Angst mehr habe ohne Beziehung zu sein, konnte ich eines Tages absolut klar für mich die Entscheidung treffen, daß ich die Beziehung mit meinem alkoholkranken Ex-Partner nicht mehr weiterführen wollte. Seitdem, achte ich extrem auf mein Umfeld.


Heute bin ich definitiv lieber alleine, als in schlechter Gesellschaft und zwar in wirklich jeder Beziehung.


Und wenn ich bemerke, daß mich meine alten Muster einholen, entscheide ich mich ganz bewußt dagegen, ihnen erneut zu folgen.


Wenn ich jetzt mit einem Menschen "sphärische Störungen" erlebe, wie es meine Freundin gerne nennt, spreche ich es sofort an, ohne daß mich die Angst vor der möglichen Reaktion meines Gegenübers davon abhalten kann.


Ich weiß rückblickend, daß mich meine innere Stimme immer gewarnt hat, ich aber nicht auf sie hören wollte, weil ich mich nicht traute, mit den Konsequenzen zu leben.


Ich erlebe es heute sehr häufig, daß mich co - abhängige Frauen ungläubig fragen: „Woher weißt Du das?“ Das passiert, wenn sie mit den Tränen, oder ihrer Scham kämpfen, mitten im Erzählen stocken und ich Vorschläge mache, wie der Satz weitergehen könnte. Der Blick, der zuvor nicht selten gesenkt war, hebt sich dann häufig wieder und blickt mich nicht selten ungläubig an.


Ich antwortete in solchen Momenten, daß ich das weiß, weil das, was im Suchtsystem abläuft, in den Grundzügen sehr ähnlich ist und ich all das während der Beziehung mit einem Alkoholiker selber erlebt habe. Und auch umgekehrt, katapultieren mich die Schilderungen anderer Frauen, deren Leben aktuell von der Alkoholsucht eines anderen Menschen dominiert wird, in meine Erlebnisse zurück, die sich teilweise eins zu eins decken.


Eine davon ist das elendig kräftezehrende Katz und Maus Spiel, bei dem einer versucht heimlich zu trinken und der andere meist gute Miene zum bösen Spiel macht…weil man den Kindern den Ausflug nicht verderben möchte, man einen Streit verhindern will, oder man durch die ständige Manipulation und Schuldzuweisungen des Alkoholkranken auch dann an sich und seiner Wahrnehmung zweifelt, wenn es „eigentlich“ keinen Zweifel gibt…


… zum Beispiel wenn „er“ zufällig immer etwas im Auto vergessen hatte und darauf beharrte, daß wir schon vorgehen sollten und er mein (berechtigtes) Misstrauen mit einem sichtlich genervten Augenrollen im Keim erstickte... oder ich seine Fahne riechen konnte, aber mich seine Reaktion abhielt sie anzusprechen… oder wenn ich leere Wodkaflaschen im Garten fand und mich daran erinnerte, wie er es zuvor trotz „eindeutiger Beweislage“ immer geschafft hatte, mich mundtot zu machen, indem er mich sehr heftig verbal angriff und mir vorwarf, das Drama zu lieben und ihn permanent zu Unrecht zu verdächtigen, so daß ich nicht selten direkt klein bei gab und die Flaschen entsorgte, ohne ihn darauf anzusprechen.


Er drehte den Spieß immer so gekonnt und schnell um, daß ich nur noch damit beschäftigt war, seinen verbalen Salven auszuweichen.


Er attackierte mich regelrecht mit Schuldzuweisungen, so daß ich das nächste Mal lieber nichts mehr sagte und stattdessen begann immer mehr an mir zu zweifeln. Seine Reaktionen waren so unendlich weit von meiner Wahrnehmung entfernt, daß ich irgendwann automatisch begann, den „Fehler“ bei mir zu suchen.


Heute sind selbst die unangenehmen, emotionalen und schwierigen Gespräche mit meinem Umfeld wieder konstruktiv, weil es nicht mehr darum geht die eignen Lügen zu untermauern oder das letzte Wort zu haben, sondern darum, den anderen zu verstehen.


Ich werde nicht mehr in meinem Selbstwert demontiert, mit Unterstellungen in die Ecke getrieben, unter der Gürtellinie beleidigt, oder emotional erpresst.


Heute sehe ich ganz genau hin, bevor ich jemandem Raum in meinem Leben gebe und wenn es Thema wird, unterscheide ich, ob ich jemandem tatsächlich helfen kann und es auch wirklich möchte. Ich kann wieder „nein“ sagen, Grenzen setzen, bei mir bleiben und darüber hinaus mit großer Freude feststellen, daß ich keine permanente Nervosität, Zerrissenheit, Ohnmacht oder Misstrauen mehr spüre, weil ich wieder bei mir angekommen bin und man(n) mir auch keinen Anlass mehr dazu gibt, nervös, verunsichert oder mißtrauisch zu sein.



So wie es in dem Zitat von Friedrich Nietzsche heißt:

„Werde der Du bist“.


… oder im Fall der Co - Abhängigkeit:

„Werde wieder der, der Du warst, bevor Du dich im Suchtsystem verloren hast.“



Byebye Co - Abhängigkeit!

Alles Liebe,

Julia






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