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Mitgefangen in der Sucht.

Aktualisiert: 17. März 2022

Ob man sich etwas aus dem Valentinstag, aus Weihnachten, oder dem Geburtstag macht, oder auch nicht, ist das eine. Aber was diese Anlässe meist so oder so sind, ist ein Spiegel der Qualität unserer Beziehungen. Sind diese gesund, kann man solche, für manche vielleicht zu erwartungsbeladenen Tage ebenso gut ignorieren, wie sie groß zu zelebrieren. It´s up to us.


Doch stecke ich in einer ungesunden Beziehung wird all das, was man sonst möglicherweise sehr gekonnt wie routiniert unter den Teppich kehren kann, deutlich sichtbarer. Ob kommerzialisiert, geheuchelt, oder echt, wird das Glück und die Harmonie aller anderen schnell zum Salz in der eigenen Wunde.

Dieses Jahr war mein Geburtstag ein ganz besonderer Spiegel, denn er zeigte mir mein „Gestern“ und mein „Heute“ in einer so messerscharfen Klarheit, dass es mir fast surreal erschien. Dieser Tag katapultierte mich in Gedanken zurück in ein Leben, das, obwohl es sich heute unendlich weit weg und fremd anfühlt, vor kurzem noch mein eigenes war. Dieses Leben, dominiert von der Sucht meines damaligen Partners hat so wenig mit meiner aktuellen Realität gemeinsam, dass ich selber kaum glauben kann, dass das nur drei Jahre her ist. Damals war ich gerade räumlich von ihm getrennt, hoffte aber insgeheim immer noch auf seine nachhaltige Nüchternheit, die, so meine Illusion, endlich eine glückliche, wahrscheinlich perfekte Beziehung möglich machen würde. Doch so sehr ich mich an kleinen Strohhalmen, Wunschvorstellungen, an meiner Hoffnung und an seinen Versprechen festgeklammert hatte, ließ mich die klare Wahrnehmung unserer Situation in die Knie gehen, als sich mein Geburtstag unausweichlich und fast bedrohlich näherte, und mir vor Augen führte, was ich so lange nicht wahrhaben wollte. Egal was er alles scheinbar eingesehen und versprochen, und welche fantastische Luftschlösser er nach wie vor baute, war da immer noch kein Mann, der Verantwortung übernommen und ein konstant zuverlässiger Partner auf Augenhöhe geworden war. Je näher wir uns waren, umso mehr konnte ich mich anpassen, ausgleichen, versuchen seine Parts zu übernehmen, sein Verhalten rechtfertigen, mein authentisches Selbst verraten, und mir alles hübsch verpackt als Beziehung verkaufen, für die es sich lohnte weiter zu kämpfen.


Doch je größer der Abstand zwischen uns geworden war, umso klarer konnte ich sehen. Ihn. Diese ungesunde Beziehung. Mich.

Ich war alleine und hatte nach wie vor nichts weiter, als große Worte, denen bislang keine nachhaltige Taten gefolgt waren. Ich konnte mir selber nichts mehr vormachen und ich erkannte, dass es in dieser Beziehung im Grunde nie anders gewesen war. Jetzt war es so sichtbar, dass es unendlich weh tat und ich es mir selber nicht mehr schön reden und als etwas anderes verkaufen konnte, als als das, was es war: eine ungesunde, co-abhängige Beziehung geprägt von Rückschritten, für deren Gelingen ich versucht hatte, die Verantwortung zu übernehmen:


Indem ich versuchte seine „gute Seite“ zum Vorschein zu bringen, und die Kontrolle über SEINE Sucht zu erlangen. Sein (Trink-) Verhalten war zu meinem Selbstwertspiegel geworden, wodurch sich meine emotionale Abhängigkeit scheinbar ausweglos anfühlte.
Bis jetzt.

Denn in diesem Moment, fiel meine Wunschvorstellung von uns in sich zusammen. Ich konnte meine Euphorie über seine Worte nicht mehr abrufen, wollte seinen Ausreden nicht mehr glauben, oder ihm welche anfertigen. Ich wollte mich nicht mehr von einer guten Phasen zur nächsten hangeln, zwischendurch auf rohen Eiern durch mein Leben laufen und mich mit diesem Auf und Ab, ohne ernstzunehmende Entwicklung zufrieden geben. Ich war nicht mehr bereit zu akzeptieren, dass jede Ruhe nichts weiter als die Ruhe vor dem nächsten Sturm war und der Aufprall auf dem Boden der Taschen mit jedem Rückfall härter und schmerzhafter geworden war. Ich sah es nicht mehr ein, dass wie es mir ging, zu einhundert Prozent davon abhängig war, wie es ihm ging. Ich wollte mein Glück nicht länger bedingungslos an eine Beziehung knüpfen, in der ich immer unglücklicher geworden war.

Er hätte jetzt hier, an meiner Seite sein können, aber er war es nicht. Das war Fakt.


Dieser Gedanke machte mich plötzlich wütend und hob mich von der Ebene des Glorifizierens seiner, und dem Bemitleiden meiner Person in eine selbstwirksame Haltung zurück.

Ich beschloss, dass ich mein Glück nicht länger in die Hände eines anderen Menschen legen wollte, an dessen Seite es mir mehr als offensichtlich immer schlechter gegangen war und ich mich immer mehr verloren hatte. Ich wollte nicht mehr auf die Einsicht eines Menschen warten, während ich zuließ, dass sein inakzeptables Verhalten über meinen Selbstwert bestimmte.


Ich dachte an einen Satz von Erich Kästner, der es so schön auf den Punkt bringt: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“

In diesem Moment erkannte ich, dass ich eigentlich gar nicht abhängig war, sondern, dass ich mich selber abhängig gemacht hatte. Ich entschied mich, dass ich es nicht zulassen wollte, mich weiterhin wegen ihm miserabel zu fühlen. Er war nicht da. OK. Aber ich war es. Und wenn ich für die Menschen, die mir wichtig sind, mit Liebe einen wunderschönen Geburtstagstisch vorbereiten konnte, konnte ich dasselbe auch für mich tun. Ich schnappte meine Jacke und fuhr zu einer Konditorei um mir eine Torte zu bestellen. Ob ich in der Zwischenzeit ein Fest geplant hatte? Nein. Ich bestellte sie trotzdem, damit ich etwas Besonderes hatte, auf das ich mich freuen konnte. Die Dame, die meine Bestellung aufnahm, fragte für wieviele Personen die Torte sein sollte und während ich überlegte, was ich antworte, fügte sie, während sie die Mustermappe aufklappte, mit einem verständnisvollen Blick hinzu, dass es auch ganz Kleine gäbe: „Sehen Sie.“ In diesem Moment versetzte mir die Vorstellung „alleine“ zu sein, erneut einen heftigen Stich. Ich holte tief Luft, ließ mich nicht zurück ins Tal der Tränen reißen und ich antworte, dass ich gerne die größte Torte bestellen möchte. Ich wollte auf gar keinen Fall auch noch einen Kuchen, der mir sagt: „Du bist alleine.“


Sie nickte und fragte nach meinen Wünschen zur Beschriftung. Anstatt ein „Happy Birthday“ an mich, entschied ich mich für die Abschiedsworte des Podcasts „Happy Holy & Confident“, den ich zu der Zeit rauf und runter gehört habe und antwortete: „Rock on und Namasté. Ich fand das in diesem Kontext mehr als passend und freute mich. Nun blickte sie leicht irritiert auf, schob mir einen Zettel herüber und sagte in tiefstem Bayerisch: „Des müssens mia aufschreibm.“ Das tat ich gerne und bat außerdem um einen rosa Zuckerguss und Blüten als Deko. Sie notierte alles und nickte schließlich nachdrücklich, um mir mit einem freundlichen Lächeln zu vermitteln, dass nun keine Fragen mehr offen seien. Ich dankte ihr für ihre nette Beratung und fuhr weiter zur Gärtnerei um mir einen bombastischen Blumestrauß zu besorgen. Es fühlte sich immer besser an. Die Umstände hatten sich nicht geändert, aber ich hatte verändert, wie ich mit ihnen umgehen wollte. Kurz zuvor machte mir der Gedanke sehr wahrscheinlich keine Blumen und keinen Kuchen als Überraschung zu bekommen Angst und deprimierte mich unendlich und jetzt, nur eine Stunde später, konnte ich es nicht abwarten, meine Torte zum Frühstück anzuschneiden. Im Laufe des Tages riefen Freunde an, um zu fragen was ich denn geplant hatte. Sie wussten in welcher Situation ich war und machten sich ein bißchen Sorgen um mich. Ich antwortete, dass ich nicht vorhatte zu feiern und bekam mehrmals die gleiche Antwort: „Ich komme trotzdem auf einen Kaffee vorbei, um dir zu gratulieren."


Am Ende war mein großer, alter Holztisch rundherum besetzt, zu meinem Blumen gesellten sich noch ein paar hübsche Frühlingssträuße und ich konnte jedem meiner Gäste ein Stück Torte anbieten. An diesem Geburtstag, mit „Rock on & Namasté-Torte“ auf dem Teller, fasste ich den Entschluss, etwas Grundlegendes zu ändern. Meine Beziehung raubte mir jede Energie, ich hatte neben dem Haushalt und dem Familienleben mit zwei Kindern ein Geschäft am Laufen zu halten, das mir schlaflose Nächte bereitete und ich konnte förmlich spüren, wie mich all das ausbrennen ließ und begann, sich auch physisch auszuwirken. Ich wollte bei allen Ängsten, Fragezeichen, Unsicherheiten, Herzschmerz, zu zahlenden Rechnungen und offenen Baustellen beginnen, eine neue Richtung einzuschlagen. Da ich aber weder Zeit noch Geld für große Hauruck Aktionen hatte, beschloss ich im ersten Schritt, ein Buch zu schreiben, da ich dafür nur mein Laptop brauchte. Die Zeit dafür, würde ich mir nehmen, indem ich früher aufstehen, oder etwas anderes von der to-do Liste streichen würde. Diese Idee rief verständlicherweise berechtigte Bedenken hervor und setzte eine Diskussion in Gang.


„Aber das ist doch ein hoffnungsloses Unterfangen… ohne Kontakte in die Verlagswelt hat man als unbekannter Autor keine Chance… wenn du einfach ein Manuskript verschickst, landet das ungelesen im Müll… brauchst du deine Energie jetzt nicht für Wichtigeres?… wie willst du das denn auch noch schaffen... das ist ja auch nicht so leicht, einfach mal ein Buch zu schreiben…“


Ich antwortetet: „Das stimmt. Leicht ist es nicht, aber das ist kein Grund für ich, es nicht zu versuchen.“ Ich ließ mich nicht verunsichern, oder zum Zweifeln verführen, sondern antwortete, dass ich erst einmal sehen wollte, ob ich überhaupt über eine Seite hinauskomme. Falls nein, hätte sich das Ganze sowieso von selber erledigt und wenn ich es doch schaffen sollte, mache ich mir über den Rest Gedanken, wenn es soweit ist.


Nur drei Jahre später steht wieder mein Geburtstag bevor, aber es ist kein Grund, der mich traurig, oder wie damals "noch trauriger" macht. Ich plane eine Feier in kleinem Kreis. Unaufgeregt, aber voller Vorfreude. Der Hund döst in der Sonne, die Jungs haben Freunde zu Besuch und ich geniesse diese entspannte Atmosphäre in vollen Zügen. Beim Einkaufen und Aufräumen hilft mir mein Partner, ohne, dass ich ihn darum bitten muß. Er ist da. Selbstverständlich. Ich kann sagen was ich denke, ohne Angst haben zu müssen, dass alles kippt. Ich muß ihn nicht in Watte packen und kann mich uneingeschränkt verlassen. Und entspannen. Und vertrauen. Ich muß fast schmunzeln, als er etwas unbeholfen beginnt Herzluftballons für mich aufzupusten und das ganze Wohnzimmer zu dekorieren. Es (be-) rührt mich. Er hat meinen Lieblingskuchen aus Italien mitgebracht und Tiramisu nach dem Rezept seiner Mama gemacht. Und das Beste von allem: es gibt kein Drama, keine Nervosität, keine Angst, keine Unsicherheit, keine Schuldzuweisungen, kein Katz und Maus Spiel und vor allem keine Erwartungen, die enttäuscht werden können.


Am nächsten Tag sitzen wir mit ein paar engen Freunden zusammen, schneiden die Torte an, die mittlerweile „dazu“ gehört und alle resümieren plötzlich, dass es unglaublich ist, was sich in nur drei Jahren getan hat. Ich darf als Coach Menschen auf ihrem Weg aus der Co-Abhängigkeit begleiten, leite zwei Angehörigen Gruppen beim Blauen Kreuz, habe unerwartet einen Hund, bin mindestens einmal im Monat im wunderschönen Venedig, von wo aus ich auch arbeiten kann, habe eine glückliche und gesunde Beziehung und mein Buch "Mitgefangen in der Sucht" ist auf dem Weg in die Welt... in Zusammenarbeit dem großartigen mvg Verlag. Es ist ganz genau so, wie ich es mir als Ziel gesetzt und drei Jahre ohne Garantie darauf hingearbeitet hatte,...


... obwohl viele, als das Buch geschrieben war meinten, veröffentliche es doch besser im Eigenverlag, denn ohne Kontakte...


"It always seems impossible until it´s done." Nelson Mandela

Leider erscheint uns unser reales Unglück oftmals besser, als unser unbekanntes Glück. Aus Angst vor Veränderung, vor Neuem und davor Verantwortung zu übernehmen, warten wir leider häufig darauf, dass sich die Umstände von alleine ändern. Wir hoffen darauf, dass jemand endlich unseren Wert erkennt, oder dass andere unsere Entscheidung befürworten, an unsere Idee glauben und verlieren uns darüber in einer Sackgasse, in der wir ohnmächtig auf der Stelle treten, während wir immer unglücklicher werden.


Aber man kann nicht ankommen, wenn man nicht losgeht. Warten wir darauf, dass sich die Umstände ändern, wir keine Angst mehr, oder alle Antworten auf all unsere Fragen haben, warten wir im Zweifel ewig. Um eine Entscheidung zu treffen und einen ersten Schritt zu tun, reicht es, wenn ein einziger Mensch an dich und dein Ziel glaubt: Du.


Rock on!




Byebye Co-Abhängigkeit!

Alles Liebe,

Julia



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