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Was willst Du (wirklich)?


Heute morgen ergab sich mit einer sehr guten Freundin ein wunderschöner Spaziergang am See. Das Wasser funkelte, eingebettet in eine wundervolle Stille, die nur vom Gezwitscher der Vögel durchbrochen wurde. Die warmen Sonnenstrahlen luden uns ein, in einer Bucht, mit herrlichem Blick auf die schneebedeckten Berge stehen zu bleiben und die, langsam aber sicher vom Frühlingsduft getränkte Luft, in vollen Zügen zu genießen.


Es war ein kleiner, scheinbar unscheinbarer, dabei wunderschöner Moment.

Die Sonne tat unglaublich gut, weiter weg sah man Hunde ausgelassen auf einer Wiese herumtollen und zwischen all dem Matsch und altem, braunen Laub, konnten wir schon die ersten Krokusse entdecken.


Unweit auf einer Bank saßen zwei ältere Damen, die mit hochgekrempelten Ärmeln ebenfalls das herrliche Wetter genossen und sich dabei angeregt unterhielten. Ihr Gespräch drehte sich um Lockdown und Ausgangssperren.


Ich dachte daran, wie sehr mich diese Pandemie an eine andere, sehr einschneidende Zeit in meinem Leben erinnert hat: sie war ebenfalls von Unsicherheit, Erinnern, Hoffen, Wünschen und sich in Gedanken aus der Gegenwart davonstehlen, geprägt.

Während des Lockdowns fokussierte ich mich darauf dankbar zu sein und ganz einfach das Beste aus der Situation zu machen. Ich tröstete mich und die Kinder mit der Gewissheit, dass wir wieder den Puls einer Stadt spüren und uns von ihm mitreißen lassen würden, in Straßencafés das Geklapper von Cappuccinotassen, das laute Stimmengewirr verschiedener Gespräche, das leise Rascheln umgeschlagener Zeitungsseiten am Nachbartisch und das Zuschlagen von Autotüren hören würden, dem das Gelächter einer eingeschworenen Partycrew folgt. Ich wusste wir würden wieder Dates haben, Parties feiern, ins Kino gehen, große Kindergeburtstage feiern, flirten, verreisen, einen Tisch in unserem Lieblingsrestaurant reservieren, durchmachen, Freunde einladen, uns zu zehnt auf eine viel zu kleine Bank quetschen, Arschbomben ohne Sicherheitsabstand machen, im ausverkauften Stadion unseren Fußballverein anfeuern, mit unserer großen Liebe an der einen Hand und einem Eis in der anderen, durch Venedig schlendern, in einer lauen Sommernacht auf einem übererfüllten Steg sitzen, inmitten einer ausgelassenen Menschenmenge zum Lieblingslied unserer Lieblingsband tanzen, wieder Lippenstift anstatt FFP2 Masken tragen und uns zur Begrüßung lange und herzlich umarmen und auf die Wange küssen.


Während meiner Co - Abhängigkeit hätte ich all das haben können. Doch ich befand mich auch zu dieser Zeit in Isolation.
Selbst auferlegt.

Ich saß zu Hause und hoffte auf diese Weise das Unkontrollierbare kontrollieren zu können.


Ich knüpfte mein Glück an seine Nüchternheit und wartete darauf, als gäbe es für immer ein Morgen.


Ich dachte es wäre meine Aufgabe, „seinen“ nächsten ersten Schluck zu verhindern und fühlte mich ebenso, für die immer verheerender werdenden Folgen seiner Sucht, verantwortlich.

Ich machte nur noch ungern Pläne, da ich nie wusste, ob es gut gehen würde und anstelle von Vorfreude, war längst eine permanente Angst getreten. Jeder, eigentlich schöne Anlaß, jeder Feierabend, jedes Wochenende, ebenso wie alle Ferien, waren von der Ungewissheit überschattet, in welchem Zustand „er“ sein würde.


Freunde einzuladen, oder eine Einladung anzunehmen, wurde mit der Zeit zu einer nervlichen Zerreißprobe, der ich lieber aus dem Weg ging.

Seine krankhafte Eifersucht, die Unterstellungen mit denen er arbeitete, sein heimliches, oder auch offensichtliches Trinken machten irgendwann jedes „Event“ zu einem Spießrutenlauf.


Natürlich konnte es auch gut gehen, doch die Anspannung hing trotzdem schwer und zäh in der Luft und und folgte uns, wie unserer eigener Schatten.

Von ausgelassener Unbeschwertheit war ich in dieser Beziehung zu jedem Zeitpunkt meilenweit entfernt.


Somit isolierte ich mich immer mehr von meinem Umfeld und legte mein social life nahezu auf Eis.


Um diesen Verrat an mir selber, sowie die Tatsache, daß ich keine Konsequenzen zog, vor mir selber rechtfertigen zu können, redete ich mir ein, all das sei meine freie Entscheidung.

Ich sah weg, ignorierte und bagatellisierte unsere Situation und seine Beziehung zum Alkohol. Mehr noch: ich war eine Meisterin darin geworden, ihm die Ausreden für sein, längst nicht mehr tragbares (Trink-) Verhalten auf den Leib zu schneidern.


Als Coach erlebe ich genau dieses co - abhängige Verhalten bei den allermeisten meiner Klienten.

„Er/sie sagt das kontrollierte Trinken trainieren zu wollen… vielleicht hat er/sie ja Recht und ist gar nicht alkoholkrank… ab wann ist man denn eigentlich ein (echter) Alkoholiker?… er/sie hat ja auch gute Phasen… es war auch tatsächlich stressig in letzter Zeit… und es stimmt schon, das eigentliche Problem ist das schwierige Verhältnis zu seinen/ihren Eltern… nicht der Alkohol…“


Doch spielt es am Ende des Tages tatsächlich eine Rolle, auf welches offizielle Label des Trinkverhaltens man sich einigen kann, wenn Alkohol offensichtlich Probleme schafft?

Er/sie trinkt und verändert seine/ihre Persönlichkeit:


er/sie fängt an Dich zu beleidigen und zu beschimpfen... Dich bewußt in Deinem Selbstwert zu demontieren… lügt… entwickelt eine krankhafte Eifersucht, die mit Unterstellungen arbeitet… ist unzuverlässig… Du liegst nächtelang wach, wenn Dein/e Partner(in) mit den Saufkumpanen um die Häuser zieht und nicht erreichbar ist… und das Kind läßt Du schon lange nicht mehr mit ihm/ihr alleine…


Du bist wütend, verletzt, traurig, unsicher und fühlst Dich für seine/ihre Handlungen und Emotionen verantwortlich während über Deine, ohne mit der Wimper zu zucken, hinweg getrampelt wird.
Du wirst mit Versprechen gefüttert, die nicht eintreten und Deine Hoffnung ist der Kitt, der alles zusammenhält.

Was macht es letztendlich für einen Unterschied, wenn nun ein Arzt, oder Therapeut käme, der bestätigen würde, daß Dein Partner "nur" riskant trinkt, aber noch nicht abhängig ist?


Änderte es etwas an Deinem Misstrauen, Deinen Ängsten, den schlaflosen Nächten und den dunklen Schatten unter Deinen Augen?

Denkst Du, daß es zielführend ist, diese Diskussion zu führen, bei der Du immer den kürzeren ziehen wirst? Linderte es tatsächlich Deinen Schmerz, wenn das Trinkverhalten "offiziell" als

„nur riskant“ eingestuft würde, Du aber aufgrund der Auswirkungen mit Deinem inneren und äußeren Frieden bezahlst?


Bist Du bereit diesen Preis weiterhin zu zahlen? Diese Diskussion weiterhin zu führen?
Oder möchtest Du Dir einmal die Frage stellen was Du von einer erfüllten Beziehung erwartest?

Was ist Dein Standard, was sind Deine Werte, wann kannst Du Dich wohl, geborgen und im Vertrauen fühlen?


Bist Du bereit auf all das zu vermissen, weil ein anderer trinken möchte, obwohl es ihm, Dir und Euch nicht gut tut?


Möchtest Du weiterhin darauf verzichten, Deinen Bedürfnisse den Raum zu geben, den sie verdienen? Möchtest Du Dich weiterhin fragen, welches Argument rechtfertigt, daß Du schlecht behandelt wirst, ODER damit beginnen Dich zu fragen, warum Du Dich schlecht behandeln läßt?

Welches Päckchen in Deinem Rucksack wartet darauf, endlich ausgepackt zu werden?


Unabhängig von der Prognose eines Arztes, der Meinung Deiner Freundinnen, den Diskussionen mit Deinem Partner kannst Du Dir jederzeit die Frage stellen, ob Du eine Beziehung führst, die Dir gut tut.


Du triffst diese Entscheidung für Dich und Dein Leben, indem Du Deine Standards definierst und entscheidest, ob sie verletzt werden, oder nicht.

Führst Du unter dem Strich eine glückliche, erfüllende Beziehung, in der Du Du sein, wachsen und vertrauen kannst, oder nicht? Hat das Label, daß Dein Partner seinem Trinkverhalten geben möchte, um nicht die Verantwortung für seinen Alkoholkonsum übernehmen zu müssen, einen positiven Einfluß auf Deine Situation und auf Dein Wohlbefinden?… oder geht es darum, daß er sich vor seiner Verantwortung davonstehlen möchte um seine Beziehung zu Dir und zum Alkohol weiterführen zu können,…


… unabhängig davon, wie sehr Du und der Rest der Familie unter den Auswirkungen leidet.


Erinnere ich mich heute an die Zeit, als ich mich heillos in meiner co - abhängigen Beziehung zu einem Alkoholkranken verstrickt hatte, wird mir wieder einmal bewusst, wie unendlich kostbar unsere emotionale Freiheit und der gegenwärtige Moment ist und ich nie mehr passiv, fremdbestimmt und unglücklich vor mich hinleben möchte, als gäbe es für immer ein Morgen.



Byebye Co - Abhängigkeit!

Alles Liebe,

Julia




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