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Was könntest Du gewinnen?

Irgendwann folgte eine der nächsten, unausweichlichen, vielen Entgiftungen in einer Klinik, und ich bat meine Mutter, ob T. im Anschluß vorläufig in ihrer Wohnung unterkommen könne, da sie ohnehin fast ständig unterwegs war. Sie zögerte keinen Moment, da auch sie den „nüchternen T.“ wahnsinnig mochte, und auch nach wie vor auf ein glückliches Ende für uns hoffte.

Diese Lösung schien für den Moment perfekt.


Wir waren ( noch ) ein Paar, lebten aber nicht mehr unter einem Dach, was die schwierigen Umstände enorm entlastete.


Die Kinder und ich konnte endlich ein bißchen durchatmen, und unser zu Hause wurde nach und nach wieder zu einem Ort, an dem man sich uneingeschränkt wohlfühlen konnte. Auch die Situation im Geschäft entspannte sich nun langsam für alle Beteiligten ein wenig.


Mit Der Rückkehr von T.´s Nüchternheit fingen wir an, uns zu richtigen Dates zu treffen, gingen essen, oder er kochte für mich.


Der Abstand tat uns beiden sichtlich gut, und ich hoffte, dies sei der entscheidende Schuss vor den Bug gewesen, den er gebraucht hatte, der ihm endlich den Ernst der Lage, und die Dringlichkeit seiner hundertprozentigen Nüchternheit vor Augen führen würde.


Eines nachmittags besuchte ich T. im Haus meiner Mutter. Es war ein wunderschöner Sommertag, und wir schlenderten wie frisch Verliebte, Händchen haltend zum See. Wir dösten ein bißchen unter den Schatten spendenden Ahornbäumen am Ufer, gingen baden, ließen uns von den warmen Sonnenstrahlen trocknen und beobachteten eine Gruppe Teenager beim Flirten. Es fühlte sich unbeschwert, vertraut und schön an. Ich war entspannt, da ich spürte, daß T. gerade nicht getrieben, nicht am Straucheln war. Er strahlte eine Aura der Ruhe und Gelassenheit aus, die sich sofort auf mich übertrug. Rückblickend finde ich es erstaunlich, wie schnell ich zwischen Drama und heiler Welt hin und her switchen konnte.


Ich hatte diesen Mechanismus im Laufe meiner Co - Abhängigkeit tatsächlich perfektioniert, was allerdings maßgeblich dazu beitrug, meine Bedürfnisse immer selbstverständlicher zu übergehen, und mein authentisches Selbst immer leichtfertiger zu verraten, da ich ( meistens ) nur noch auf seinen ( aktuellen ) Zustand reagierte.


Als die Jungs der Clique neben uns die Bierdosen zischen ließen und ihren Ghettoblaster aufdrehten, packten wir unsere Handtücher zusammen, und machten uns auf den Rückweg. T. bat mich, es mir im Garten gemütlich zu machen, und kam kurze Zeit später mit einem köstlichen Sommerpicknick, das er für uns vorbereitet hatte, zurück. Es gab knusprige Hähnchenkeulen, einen himmlischen Shrimps -, einen sensationellen Linsensalat, und Burrata mit süßen Tomaten.


Wir saßen an einem kleinen runden Tisch, die Füße barfuß im warmen Kies, und die prallen Blüten der Kletterrosen hingen schwer und duftend vom Spalier.


In der nahegelegenen Werft war das alljährliche Sommerfest mit Livemusik in vollem Gange, doch weder T. noch ich hatten Lust uns unter die Partygäste zu mischen. Zu sehr genossen wir unsere Zweisamkeit. Schließlich begann er über die Details unserer Hochzeit zu sprechen, als stünde sie kurz bevor. Das Gespräch nahm sehr schnell eine so positive Dynamik an, daß wir einen der allerschönsten und lustigsten Abende überhaupt miteinander verbrachten. Wir überlegten wen wir einladen würden, und wen auf gar keinen Fall. Und da war er wieder, mit seiner Warmherzigkeit, seinem Tiefgang, und seinem Humor, den ich so sehr liebte. Wir waren uns sofort einig, wo die Trauung stattfinden sollte, mit welchem Lied wir den Tanz eröffnen wollten, und es fühlte sich an, als seien wir ein ganz normales Paar.


Ein Paar, daß nicht seit Jahren mit einem der größten Gesundheitsprobleme unserer Zeit zu kämpfen hatte, das nicht dabei war, seine große Liebe an die heimtückische Krankheit Alkoholismus zu verlieren.


Und auch wenn ich Weltmeisterin darin war, nach solchen schönen Momenten alle Dramen der Vergangenheit vor mir selber zu bagatellisieren, hatte das leider keinen Einfluß auf die Realität. Es folgte auch diesmal kurz darauf der nächste richtig große Absturz.


Eigentlich kam er immer sehr schnell nach den besonders guten Phasen, genau dann, wenn ich nicht damit rechnete.


Ich betrat frühmorgens, beschwingt von unseren schönen Verabredungen den Laden, und T. war bereits da. Ich spürte sofort, daß etwas nicht stimmte.


Als ich ihn sah, wußte ich, daß er bereits soviel getrunken hatte, daß es sehr schwer bis unmöglich werden würde, in irgendeiner Weise auf ihn einzuwirken.


Ich fragte mich, was ich bloß mit ihm anstellen sollte, mußte mich aber eigentlich um meine Arbeit kümmern. Ausgerechnet an diesem Tag erwarteten wir ortsansässige Dirndl Designerinnen zu einem Verkaufs - Event bei uns im Geschäft. Ich war in solchen Momenten wie ferngesteuert, spürte wie sich mein Magen zuschnürte und ich hielt oft unbewußt die Luft an, atmete nur noch sehr flach. Meine Mitarbeiterin, die natürlich auch längst wußte was los ist, erschien zum Glück auf der Bildfläche und kümmerte sich alleine um das Geschäft, so daß ich „hinter den Kulissen“ versuchen konnte T. aus dem Verkehr zu ziehen. Aber in diesem Zustand, konnte ich ihn auch nicht zu meiner Mutter schaffen. Ich wußte nicht recht was ich nun tun sollte. Obwohl er Mühe hatte zu stehen, komplett planlos und volltrunken war, sah er überhaupt nicht ein, daß er so nicht arbeiten konnte.


Er redete nur noch wirres Zeug, brachte alles durcheinander und ich war kurz davor auszurasten, und ihn laut anzubrüllen. Ich war wütend und ausgebrannt, und die Tränen liefen mir mittlerweile in Strömen über das Gesicht.


In der Zwischenzeit waren alle Damen eingetroffen. Ich konnte sie bis in T.´s Büro hören. Sie schnatterten fröhlich durcheinander, und fingen an, ihre Ware auszupacken und Bistro Tische aufzustellen. Ich konnte hören, daß nach mir verlangt wurde. Ich hatte im Vorfeld zugesagt früh da zu sein, und mich am Aufbau zu beteiligen. Jetzt gab es nichts, was mich weniger interessiert und mehr gestresst hätte als das.


Ich ignorierte das Treiben im Laden und beschloß, mich jetzt nicht zu zerreißen und darauf zu verzichten, draußen meine übliche Performance abzuliefern.


Stattdessen griff ich in meiner Verzweiflung zum Telefon und rief T.´s Schwester, mit der Bitte ihren Bruder schnellstmöglich abzuholen, an. Sie hatte das Haus voller Gäste, ließ aber dennoch sofort alles stehen und liegen, um zehn Minuten später da zu sein. Sie hatte Verstärkung mitgebracht und gemeinsam gelang es ihnen schließlich, den zunächst sehr widerspenstigen, uneinsichtigen T. in ihr Auto zu hieven. Bevor sie wegfuhren, umarmte sie mich lange, strich mir über den Kopf und drückte meine Hände ganz fest mit den Worten: „Ich bin immer da wenn Du mich brauchst.“


In diesem Moment wurde mir wieder einmal bewußt, daß sie und ihre Mutter für mich in diesen schwierigen Zeiten, mit die allergrößten Stützen gewesen waren. Mittlerweile fürchtete ich nicht nur T. zu verlieren, sondern mit ihm seine wundervolle Familie, die mir so sehr ans Herz gewachsen war.


Als ich das Auto wegfahren hörte und alleine und verheult in dem Chaos saß, daß er angerichtet hatte, mußte ich an eine Zeile aus einem Countrysong denken.


„If you always do, what you have always done, you will always get, what you have always got!“


Ich dachte bei mit, daß es wirklich erstaunlich, beinahe unbegreiflich ist, wie lange Menschen bereit sind, einem Weg zu folgen, der offensichtlich nicht der Richtige ist, der zusehends beschwerlicher und schmerzvoller wird. Man kann den nahenden Abgrund förmlich sehen und läuft trotzdem immer brav weiter, geradewegs und schnurstracks auf ihn zu. Es ist verrückt, wie schwer es uns teilweise fällt, Entscheidungen für uns, für unser Leben, für unser Glück zu treffen, und daß uns der bloße Gedanke an Veränderung oftmals schon so große Angst einjagt, daß wir gar nicht erst ins Handeln kommen, und stattdessen unser reales Unglück hinnehmen.


Weil wir uns oft nicht trauen loszulassen, neigen wir dazu, im entscheidenen Moment zu glorifizieren, wer oder was uns schon lange nicht mehr gut tut, anstatt uns auf das zu fokussieren, was wir gewinnen können, wenn wir es doch wagen...



Byebye Co - Abhängigkeit!

Alles Liebe,

Julia






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