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Julia Maria Kessler

Vivere!

Aktualisiert: 8. Apr. 2021

Ich zog den weißen, leicht transparenten Vorhang zurück und öffnete die Glastür, die mit einem leisen Knarzen den kleinen Balkon, seine zwei Stühle und einen wackeligen Klapptisch frei gab. Ich trat barfuß hinaus und mein Blick schweifte über nahezu menschenleere Gassen, durch die hin und wieder ein „Ciao“, ein „Bongiorno“, das Klappern eines Fensterladens, oder das von ein paar Absätzen hallte. Ich lehnte mich mit den Ellenbogen auf das Geländer, von dem die Farbe ein wenig abgesplittert war, schloß die Augen und nahm einen tiefen Atemzug, der vom wunderbaren Meeresduft getränkten Luft. Es war noch ein bißchen frisch, aber ich konnte auf meiner Haut spüren, daß es ein wundervoller, warmer Tag werden würde. Der Himmel war klar und strahlend blau und die Sonne blitzte schön langsam über die schiefen Dächer von Venedig.


Es war ein Moment, der mich mit absoluter Zufriedenheit, Freude, Dankbarkeit und Ruhe erfüllte und am liebsten hätte ich die Zeit angehalten. Nur ein bißchen…

…denn ich weiß, wie es ist, wenn man sich im eigenen Leben fehl am Platz fühlt. Ich kenne das lähmende, bedrückende und fast erstickende Gefühl von Ohnmacht und weiß nur zu gut, wie groß die Kluft zwischen Deiner Wunschvorstellung und Deiner Realität sein kann. Ich kenne den Unterschied, nur zu sagen „Ich glaube und ich vertraue Dir“, oder es auch wirklich zu fühlen.


Heute kenne ich keine innere Unruhe und Zerrissenheit mehr. Heute werde ich auch nicht mehr automatisch nervös, wenn ich an meinen Partner denke, oder fühle mich für seine Emotionen und Handlungen verantwortlich. Heute entschuldige ich mich nicht mehr, wenn es sich nicht richtig anfühlt, nur um eine vermeintliche Harmonie herzustellen, oder sage nicht das, was ich denke, weil ich Angst vor den möglichen Konsequenzen habe, oder kein Raum für mein authentisches Ich ist. Ich erlebe es nicht mehr, daß „seine“ Reaktion und meine Wahrnehmung so kolossal voneinander entfernt sind, daß ich an mir zweifle und automatisch damit beginne, den Fehler bei mir zu suchen.


Ich bin nicht mehr sprachlos, verletzt und verunsichert
Auf einmal ist alles unendlich leicht, auch wenn es Herausforderungen zu meistern gibt.

Ich werde nicht mehr missverstanden, oder habe ständig das Gefühl, ich müsse mich rechtfertigen, oder an meiner Intuition zweifeln, obwohl es (eigentlich) keinen Zweifel gibt. Schwierige Themen können ganz ohne Streit und Verletzungen besprochen werden, weil es nicht darum geht das letzte Wort zu haben, sondern darum, einander zu verstehen. Auf einmal wird all das, was mich ausmacht gewertschätzt und nicht benutzt, um meinen Selbstwert zu demontieren. Auf einmal ist da jemand, der zuhört was ich sage und sieht wie ich bin, anstatt mich mit Unterstellungen zum Sündenbock und möglichst klein zu machen.


Eigentlich sollte all das selbstverständlich sein, wenn zwei Menschen freiwillig beschließen zusammen zu sein. Aber das ist es nicht.


Viel zu oft schleichen sich Manipulation, Respektlosigkeit, Unaufrichtigkeit und eine mehr als unglückliche Realität ein… sie wird langsam aber sicher zu Deiner neuen Normalität und Du hoffst auf die Rückkehr der schönen Anfangszeit Deiner Beziehung.

Ebenso gut könntest Du wahrscheinlich auf die Rückkehr der Jediritter hoffen, oder darauf im Lotto zu gewinnen…


…oder darauf, daß sich alles irgendwie von alleine ändert, ohne selber aktiv etwas zu verändern.


Und je mehr der Respekt, das Vertrauen und die Augenhöhe verloren gehen, umso größer wird unsere Schmerzgrenze, was allerdings keine Tugend, oder Grund zur Freude, sondern vielmehr ein Verrat an uns selber ist. Ich sehe es heute wie der Schriftsteller Paulo Coelho:

„Wenn Du ja sagst, sei Dir sicher, daß Du nicht nein zu Dir selber sagst.“


Am Ende kann man sich eine ganz einfache Frage stellen: „Ist meine Beziehung eine Bereicherung für mein Leben oder nicht?“


Are you better together?


Ist in Deiner Beziehung Raum Für Deine Bedürfnisse?


Kannst Du Du selber sein, wachsen und vertrauen?


Ist Dein Partner der Mensch, der verläßlich für Dich da ist, wenn es Probleme gibt, oder derjenige, der die Probleme in Dein Leben bringt und Dich im Stich läßt, wenn es darum geht, sie zu lösen?


Bist Du glücklich wenn Du an ihn/sie denkst, oder tendenziell angespannt, ängstlich und nervös?


Versuchst Du überangepasst zu sein, um die „tolle“ Seite Deines Partners zum Vorschein zu bringen und übergehst dabei Deine Intuition immer öfter und Deine Bedürfnisse immer selbstverständlicher?


Kannst Du „Nein“ sagen, wenn Deine Grenzen überschritten werden, oder läßt Du zu, daß er/sie über Dich hinweg trampelt?


Manche Menschen verwechseln Hochmut mit Stolz, projizieren ihren Mangel auf ihr Umfeld und sind bereit, sowohl die Wahrheit, als auch Dich jederzeit aus opportunistischen Gründen zu verraten. Sie machen ihre Probleme wie selbstverständlich zu Deinen und erwarten, daß Du für sie funktionierst, während sie Deinen Schmerz sehr gut ertragen können. Anstatt Verantwortung zu übernehmen, suchen und finden sie einen Sündenbock und geben gerne den anderen oder den Umständen die Schuld für ihren Frust, oder ihr Scheitern.


Es gibt Menschen die in einer Beziehung der alleinige Herrscher über Nähe und Distanz sind und nicht zögern, ihr Gegenüber für den eigenen Vorteil in seinem Selbstwert zu demontieren und Schuldgefühle zu sähen, die der perfekte Nährboden für ihre Manipulation ist.

Sie lassen Dich am ausgestreckten Arm „verhungern“ und wenn Du aus Deiner Ohnmacht heraus verzweifelt reagierst, laut wirst, auf eine Antwort bestehst, oder anfängst zu weinen, reden sie Dir ein, dass mit Dir etwas nicht stimmt.


Und Du?

Du wartest darauf, daß er/sie einsichtig wird… sich entschuldigt… die Wunden, die er/sie Dir zugefügt hat wieder verarztet… Dir sagt, wie sehr er/sie Dich (eigentlich) liebt… und daß ab morgen alles anders wird… versprochen...Hand aus´s Herz!


Was bleibt übrig, wenn Du die glorifizierende Brille abnimmst, durch die Du Deinen Partner siehst… was, wenn Du die Wunschvorstellung der perfekten Version Deiner Beziehung loslässt und stattdessen die reale Version von ihr betrachtest?

Ich hielt beispielsweise die krankhafte Eifersucht meines alkoholkranken Partners für ein Zeichen seiner großen Liebe. Aber das ist sie nie! Sie ist vielmehr ein Zeichen des eigenen (riesen-) großen Mangels. Doch eines Tages traute ich mich, die Brille abzunehmen, durch die ich alles bagatellisierte, schön redete, oder rechtfertigte, was er tat und sagte. Ich erkannte, daß all das, was sich anstrengend, vergeblich, toxisch und falsch anfühlte, es auch war.


Ich begann, mich selber zu durchschauen: je größer der Schmerz wurde, umso mehr blies ich die ideale Version von ihm und uns auf, um vor mir selber zu rechtfertigen, daß ich keine Konsequenzen zog und all das Drama weiterhin mitmachte.

Je schwerer das Gewicht des Unglücks auf der einen Seite der Waage wurde, umso mehr legte ich in die Schale meiner Hoffnung, um alles wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Doch als ich damit aufhörte, die Brille abnahm und losließ, stürzte das Konstrukt aus Illusion und Wunschvorstellung, das von meinen Ängsten genährt wurde, in sich zusammen. Es blieb nichts übrig, als ein Haufen Schutt und Asche.

Ich wollte es nicht mehr aufbauen und all meine Energie aufwenden, um dieses wackelige Konstrukt zu stützen. Ich wollte endlich loslassen, wer und was mir nicht gut tat, ebenso wie all das, was ich weder heute, noch gestern beeinflussen konnte und stattdessen wieder die Verantwortung für mich und mein Glück übernehmen.


Ich war endlich bereit hinzusehen und mich daran zu erinnern, wie die Realität der, von seiner Sucht bestimmten Beziehung tatsächlich aussah.

Ich wollte mich nicht länger für ihn, seine Emotionen und seine Handlungen, oder das wahr Werden seiner Versprechen verantwortlich fühlen.



"Du kannst eine Herausforderung benutzen, um aufzuwachen, oder du kannst sie benutzen, um noch tiefer zu schlafen. Der Traum gewöhnlicher Unbewusstheit verwandelt sich dann in einen Albtraum." Eckhart Tolle


Er sah nicht in die verheulten Augen der Jungs. Ich schon. Er erklärte ihnen auch nicht, was sein Problem war, oder kehrte die Scherbenhaufen zusammen, die er so oft hinterlassen hatte.

All das war mir vorbehalten.


Er schob mich an die "Front" wenn es sein mußte, machte seine Probleme zu meinen und verlangte gleichzeitig, daß ich mich nicht einmische, wenn er es vorzog wegzusehen. Er bagatellisierte seine Krankheit, oder leugnete sie ganz, um keine Verantwortung für sie übernehmen und im Zuge dessen vor dem Alkohol kapitulieren zu müssen und schrie mich an, daß ich keine Ahnung hätte… gleichzeitig war seine Alkoholsucht sein Joker, seine „Du kommst aus dem Gefängnis frei Karte“, wenn es darum ging, seinen Kopf möglichst konsequenzlos aus der Schlinge seiner Sucht zu ziehen.


„Ich kann nichts dafür, ich bin halt krank… das mußt Du doch verstehen… Du kannst mich doch nicht im Stich lassen… ich brauche Dich doch!“


Nach seinem Auszug hatte es gute zwei Jahre gedauert bis er es schaffte, einen Nachsendeantrag zu stellen. Er meinte der Gang zur Gemeinde sei schließlich sehr unangenehm für ihn. Ich mußte aufgrund dieser Äußerung fast lachen. Die Kinder und ich waren die ganze Zeit über den Blicken und unzähligen Fragen ausgesetzt gewesen, während er abgetaucht war. Ich mußte das Geschäft ohne ihn auflösen und funktionieren. Ich konnte nicht sagen, „Das ist mir jetzt aber zu unangenehm und zu anstrengend… ich brauche jetzt mal eine Pause!“


Genau wie am ersten Schultag meines jüngeren Sohnes, der einen anderen Hauptdarsteller hatte, als das Kind mit der Schultüte.

Nach einem, sich (wieder einmal) über mehrere Wochen anbahnenden Alkohol - Drama, war mein damaliger Partner für mehrere Wochen in einer sehr schön gelegenen, kleinen Klinik. Wie so oft in dieser Beziehung war ich alleine und diejenige, die weiterhin funktioniert hat. Funktionieren mußte.


Während ich einerseits traurig war, dass er nicht an meiner Seite war, andererseits wütend, weil ich meinem Sohn einen anderen 1.Schultag gewünscht hatte und ich mich inmitten der anderen Familien so einsam fühlte, wie selten zuvor, versuchte ich meine Rolle so gut wie möglich zu spielen. Wie immer.

Ich gab mich fröhlich und unbeschwert, als sei alles in bester Ordnung und hielt die Blicke und Fragen, wo „er“ sei aus, obwohl ich emotional komplett ausgebrannt und leer war und mir am liebsten einfach die Decke über den Kopf gezogen hätte.


An meinem Geburtstag nach unserer Trennung rief er gegen 16.00 Uhr an. Er war jenseits von Gut und Böse und stöhnte ins Telefon, daß es ihm schlecht ginge. Danke für diesen erheiternden Glückwunsch… aber nein danke.


Es gibt Menschen, die es absolut perfektioniert haben, ausschließlich um sich selber zu kreisen. Unermüdlich.

Ich bat ihn seine restlichen Sachen abzuholen. Sie standen Monate später immer noch in der Garage. Es kümmerte sich jemand anderes darum. Wie immer.


Je mehr Abstand ich zu dieser Zeit bekomme und je näher ich zu mir zurückgefunden habe, umso mehr wurde alles, wofür ich so verzweifelt gekämpft hatte, entglorifiziert.


Denke ich heute über diese Beziehung nach, fühle ich Erleichterung, das alles vorüber ist. Doch manchmal kocht noch die Wut in mir hoch…
… aber da ich weiß, wie sehr wir uns selber schaden, wenn wir im Vorwurf und im Groll sind, lasse ich meine kurz aufgeloderte Wut sofort wieder gehen… lasse sie ganz schnell los und bin stattdessen unendlich dankbar dafür, daß all das hinter uns liegt.

Heute bin ich glücklich und dankbar, daß wir ganz genau da sind, wo wir sind…


… weil ich mich getraut habe mich meinen Ängsten zu stellen.


Das alleine Sein, war eine derjenigen, die mich am allermeisten in die Knie gezwungen hat. Doch ich habe mich ihr in den Weg gestellt und erkannt, daß man sich wahrscheinlich nirgendwo einsamer fühlen kann, als in einer unglücklichen Beziehung.

Dieser Schritt war ein wichtiger in Richtung emotionale Freiheit, denn entscheiden wir uns der Angst zu folgen, werden wir wahrscheinlich Wege einschlagen, auf denen wir uns immer weiter von einem erfüllten Leben entfernen. Haben wir Angst vor Ablehnung, sprechen wir den anderen im Zweifel erst gar nicht an, und verschwenden unsere Zeit stattdessen damit, uns schon einmal „prophylaktisch“ abgelehnt, beobachtet, ausgeschlossen, oder ( schlecht ) beurteilt zu fühlen. Die Angst vor einem Korb kann so groß sein, dass wir eine Chance ungenutzt verstreichen lassen, oder sie nicht einmal als solche erkennen.


Aus Angst alleine zu sein, wird schlechte Gesellschaft toleriert. Aus Angst nicht ( gut ) genug zu sein, versuchen wir ES oft erst gar nicht... „Es gibt schließlich genügend Leute, die das sowieso viel besser können als ich.“

Wir verstellen und verbiegen uns bis zur Unkenntlichkeit, geben uns zufrieden und wundern uns, wenn wir uns darüber verlieren, wir permanent suchen, aber nicht mehr wissen, wonach.


Aus Angst „scheitern“ zu können, oder kritisiert zu werden, bleiben wir stehen, wo es uns gar nicht gefällt und tun, oder sagen das, wovon wir glauben, dass es die anderen hören wollen.


Irgendwann führen wir ungesunde Beziehungen, lassen uns verletzen, machen Kompromisse, die mehr als faul sind, laufen Dingen hinterher, die wir nicht brauchen, versuchen Leute zu beeindrucken, die wir nicht einmal mögen, und wundern uns über die Leere, die immer unerträglicher wird.

Es verhält es sich dann wie mit dem Hund, der seinen eigenen Schwanz jagt, und ihn nie erwischt... das, wonach wir uns so verzweifelt sehnen, finden wir nämlich IN uns, wenn wir uns trauen, auf unsere Intuition zu hören, wir ehrlich zu uns selber sind, wir unsere Werte leben

und unserem Herzen folgen.


Es ist DEIN Leben und es ist genau JETZT. ❤️

In diesem Moment unterbricht das Knarzen der Balkontür die morgendliche Stille und meine Gedanken… er umarmt mich, legt seinen Kopf auf meine Schulter, flüstert verschlafen „Ciao“ in mein Ohr und fragt ob ich gerne einen Kaffee möchte…


… es war ein Moment, der mich mit absoluter Zufriedenheit, Freude, Dankbarkeit und Ruhe erfüllte und am liebsten hätte ich die Zeit angehalten. Nur ein bißchen…


„Wenn Du etwas wagst wächst der Mut. Wenn Du zögerst wächst Deine Angst.“ Ghandi




Vivere

È passato tanto tempo

Vivere

È un ricordo senza tempo

Vivere

È un po' come perder tempo

Vivere e sorridere

Vivere

È passato tanto tempo

Vivere

È un ricordo senza tempo

Vivere!

È un po' come perder tempo

Vivere e sorridere dei guai

Così come non hai fatto mai

E poi pensare che domani sarà sempre meglio

Oggi non ho tempo

Oggi voglio stare spento

Vivere

E sperare di star meglio

Vivere

E non essere mai contento

Vivere

Come stare sempre al vento

Vivere, come ridere

Vivere (vivere)

Anche se sei morto dentro

Vivere (vivere)

E devi essere sempre contento

Vivere (vivere)

È come un comandamento

Vivere o sopravvivere

Senza perdersi d'animo mai

E combattere e lottare contro tutto…


Vasco Rossi




Byebye Co - Abhängigkeit!

Alles Liebe,

Julia




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