Der Mensch ist ein soziales Lebewesen. Kommen wir zur Welt, sind wir über eine sehr lange Zeit nicht alleine lebensfähig. Wir sind existentiell auf andere angewiesen. Somit lernen wir von Geburt an, innerhalb der Familie nicht nur die Freuden miteinander zu teilen, sondern füreinander da zu sein, und uns zu unterstützen. Wir leisten einander Gesellschaft auch wenn es mal nicht so lustig ist, trösten uns, und helfen uns gegenseitig Probleme aller Art zu lösen. Scheidung, Tod, Pleite,... es gibt nichts was uns entzweien könnte, nichts, das wir nicht gemeinsam durchstehen würden.
Wir hören jedes Mal wieder gebannt zu, wenn die Oma das Geheimrezept ihres Kuchens preisgibt, und geben ihr die Bühne, die sie so glücklich macht. Wir applaudieren wie verrückt, wenn die kleinsten im Bunde schief auf der Blockflöte spielen, oder holprig ein Gedicht vortragen. Wenn es notwendig ist, kratzt man füreinander die letzten Groschen zusammen, und wenn es richtig hart auf hart kommt, hält man zusammen. Selbstverständlich pflegt man sich im Krankheitsfall, oder finanziert eine Versorgung durch Dritte, wenn es der Kontostand zulässt. Kurzum, für das Wohl und das Glück der Sippe gibt man sein letztes Hemd. Zumindest entspricht das wohl der Idealvorstellung von Familienzusammenhalt.
Und diese Idee von bedingungsloser Verbundenheit und Loyalität nehmen wir mit in unsere frei gewählten Beziehungen zu Freunden und Partnern. So haben wir es schließlich gelernt. Man ist füreinander da und läßt sich nicht im Stich. Komme was wolle. Man geht zusammen durch Dick und Dünn!
Wenn die Lieblings - Kollegin ein Date hatte und am nächsten Morgen ihren ersten Termin versäumt, würde man sie sicherlich mit einer ganz tollen, zur Not sehr schnell improvisierten Ausrede entschuldigen, um sie dann schnellstmöglich an das Handy zu bekommen um sie zu warnen. Oder zu wecken. Oder beides. Niemals würde man erwähnen, daß sie am Vorabend aus war, wahrscheinlich ziemlich über die Stränge geschlagen, und vermutlich verschlafen hat, weil sie sich die ganze Nacht in den Laken gewälzt hat. Stünde ein guter Freund von Dir vor Deinem Haus, weil er selbstverschuldet seine Bleibe verloren hat, würdest Du ihm die Türe vor der Nase zuschlagen, oder ihm das Gästebett herrichten? Hätte sich ein Mensch den Du liebst finanziell übernommen, und kämpfte nun um seine Existenz, würdest Du ihm nicht Geld leihen, wenn Du es könntest? Läge Dein Mann im Krankenhaus, würdest Du ihn nicht so oft wie möglich dort besuchen, um ihn mit Liebe, Küssen und aufmunternde Worten zu überschütten? Hätte Deine beste Freundin ihre Ehe durch eine Affäre in den Sand gesetzt, würdest Du ihr sagen „selber schuld!“, oder ihr Deine Hand reichen, und für sie da sein? Läge Dein Single Freund mit einer Grippe im Bett, würdest Du ihm vorwerfen, daß er sich bei keiner Frau festlegen wollte, oder für ihn zur Apotheke gehen und ihm eine kräftigende Hühnersuppe kochen?
Wir alle haben gelernt füreinander da zu sein, wenn wir uns etwas bedeuten. Und dabei geht es erst einmal nicht um Recht oder Unrecht. Du sagst Deiner Freundin die krank vor Liebeskummer ist nicht, daß sie aufhören soll zu heulen, weil Du ihr von Anfang an gesagt hast, daß der Typ ein Arsch ist, sondern Du nimmst sie in den Arm. Wir hören uns auch ermüdende Geschichten zum tausendsten Mal an, wenn uns jemand etwas bedeutet.
Wir sind geduldig und großzügig mit den Menschen, die einen Platz in unserem Herzen haben.
Wir möchten nicht, daß sie unglücklich sind und tun alles dafür, sie wieder aufzurichten, wenn das Leben sie beutelt. Und genau das tun wir auch, wenn ein Mensch der uns nahe steht alkoholkrank ist. Doch leider bewirkt es in diesem speziellen Fall nichts Gutes.
Denn indem man den Alkoholiker deckt, die Folgen seines Trinkens vertuscht, und immer wieder die Scherben für ihn zusammenkehrt, unterstützt man das Trinken. Man hält das System am Laufen.
Auch ich wollte T. helfen und tat dabei unwissentlich leider genau das Gegenteil. Ich hatte es mir auf die Fahnen geschrieben ihn nicht im Stich zu lassen und ihn zu beschützen. Vor dem Alkohol, den Auslösern die ihn zum Straucheln bringen konnten, seinen Dämonen, und vor sich selber. Ich war wild entschlossen diesen Kampf für ihn zu gewinnen, und wollte einfach nicht wahr haben, daß ich ihn nicht gewinnen konnte. Egal wie sehr sich die Situation verschlechterte, sich die Rückfälle häuften, oder das Trinken phasenweise wieder zur Tagesordnung geworden war, versuchte ich weiterhin stoisch, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, indem ich funktionierte.
Ich begriff lange nicht, daß der Weg ausschließlich von Innen nach Außen verläuft, und ihn nur der Kranke selber gehen kann.
Er alleine ist im Stande seine Ängste aufzulösen, und seine seelische Obdachlosigkeit mit Urvertrauen zu füllen, um eine langfristige Nüchternheit zu erlangen. Der Co - Abhängige kann 24/7 parat stehen, sich aufopfern, verständnisvoll sein, drohen, trösten, weinen, schreien, und im "Außen" Purzelbäume schlagen so viel er will, es wird nichts nützen. Solange man das als Co - Abhängiger nicht begriffen hat, wird man nichts anderes erreichen, als früher oder später gemeinsam mit dem Alkoholiker im Strudel seiner Krankheit unterzugehen.
Und das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Es ist so, als ob sich zwei Ertrinkende aneinander festklammerten. Sie haben nur eine einzige Chance zu überleben.
Sie müssen einander loslassen und versuchen zu schwimmen.
Jeder für sich. Ganz alleine. Vielleicht schafft es keiner ans rettende Ufer, oder auch nur einer.
Aber es ist die einzige Chance die sie haben, daß nicht alle beide mit Sicherheit, und im wahrsten Sinne des Wortes, ertrinken werden.
Byebye Co - Abhängigkeit!
Alles Liebe,
Julia
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