Wie lange man sich als Co - Abhängiger eines Alkoholkranken in diesem zerstörerischen Suchtsystem dreht, hängt nicht vom Leidensdruck ab, denn der ist schnell groß genug, um jederzeit daran zerbrechen zu können. Es geht vielmehr darum, die Macht der Gewohnheit zu durchbrechen, und bewußt die Entscheidung zu treffen, dieses Spiel aus Schuldzuweisungen, Funktionieren, Isolation und dem Instrumentalisieren der Wahrnehmung als Königsdisziplin der Manipulation, nicht mehr länger mitspielen zu wollen.
Ich wartete jahrelang darauf, daß es bei meinem Partner "Klick" macht, doch am Ende legte sich nicht bei ihm, sondern bei mir der Schalter um, der einfach alles veränderte.
Ich nahm einen neuen Blickwinkel ein, und sah plötzlich unsere Situation und all das, was passierte, sich endlos wiederholte und immer schlimmer, anstatt besser geworden ist, ganz klar als das, was es schon lange war: eine Abwärts - Spirale ohne Exit.
Dieser neue Blickwinkel war bereits mein erster wichtiger Schritt aus der Co - Abhängigkeit.
Ich begriff, daß ich diejenige war, die sich bewegen und den Fokus wieder auf sich richten mußte.
Ich fragte mich, wann der Wendepunkt gewesen ist, ab dem T. zum Epizentrum eines Karussells geworden war, um das ich mich, um das sich unser Alltag, unser ganzes Leben unermüdlich kreiste? Ich wußte es nicht mehr, aber ich wußte, daß ich das nicht mehr wollte.
Ganz egal warum, oder wann all das begonnen hatte... wer (außer ich selber) zwang mich heute, weiterhin eine Runde nach er anderen zu drehen und darauf zu hoffen, daß das der Weg war, der meinen Partner irgendwann zu einem trockenen Alkoholiker werden ließ?
Wie kam ich überhaupt auf die Idee, daß sich etwas ändern konnte, wenn ich nichts veränderte?
Ich begriff, daß Veränderungen nicht mit fertigen Lösungen, sondern immer mit einer Entscheidung beginnen und es allerhöchste Zeit war, eine für mich zu treffen,... auch wenn ich noch keine einzige Antwort auf all meine Fragen hatte.
Wir verharren in elendigen Komfortzonen, die längst keine mehr sind, weil wir uns gut in ihnen auskennen.
Wir haben die Spielchen schon tausend Mal gespielt und wissen ganz genau was zu tun ist, was uns bestimmte Menschen oder Situationen abverlangen. Wir handeln irgendwann fast mechanisch. Es tut uns nicht gut, aber es ist
uns vertraut.
Wir sind zu Profis geworden. Wie ein Schauspieler, der seit Jahren dasselbe Stück aufführt.
Und wir spielen es viel zu lange mit, da uns das Unbekannte häufig noch mehr ängstigt, als das reale Unglück.
Oftmals kommen blockierende Glaubenssätze und Schuldgefühle hinzu, derer wir uns meist nicht einmal bewußt sind, die uns aber dennoch extrem beeinflussen. Sie sitzen sehr tief und steuern uns, wie ein innerer Pilot. Nicht selten machen uns diese fest verwurzelten Überzeugungen eine höllische Angst, die uns davon abhält, dringend notwendige Veränderungen in unserem Leben zu wagen.
Wir haben vor allem möglichem Angst und lassen uns nicht selten von ihr in die Schranken weisen:
Angst, nichts wert, oder nicht (gut) genug zu sein, Angst das Leben finanziell alleine nicht meistern zu können, Angst vor der Bewertung anderer, Angst vor dem Alleinsein, vor Ablehnung, scheitern zu können, sichtbar (angreifbar) zu werden, anecken zu können, oder Angst zu versagen.
Also fügen wir uns leider (zu) oft in unser Schicksal und hoffen dabei still und leise, daß sich die Umstände irgendwie von alleine ändern... wie durch Zauberei oder durch ein Wunder. Aber das werden sie nicht! Es liegt an uns, uns zu bewegen und ins Handeln zu kommen.
Aber wenn wir erst dann losgehen, wenn wir einen Lösungskatalog mit allen Antworten auf unsere Fragen und einem garantiertem Happy End in den Händen halten, werden wir uns wahrscheinlich nie bewegen. Aber es geht überhaupt nicht darum, alles auf einen Streich zu klären.
Im ersten Schritt reicht es aus eine Entscheidung zu treffen. Bewußt und klar.
Meine Entscheidung traf ich eines Tages, still, alleine und entschlossen. Ich wollte aus dem Karussell der Co - Abhängigkeit, des Hoffens, des Wartens, des Funktionierens, des isoliert Seins, des enttäuscht Werdends und der permanenten Angst vor Rückfällen aussteigen. Ich drehte nun schon seit Jahren eine Runde nach der anderen und hatte mehr als genug davon.
I was sick and tired of being sick and tired!
Doch es fiel mehr schwer mich zu vertrauen und mich daran zu erinnern… daran wer ich war, bevor ich mich verloren und all die schmerzvolle Erfahrungen gemacht hatte.
Wahrscheinlich fällt es uns allen hin und wieder schwer, die unbeschwerten, sorgenfreien Jahre wachzurufen, in denen wir wenig Verantwortung, aber dafür umso mehr Leichtigkeit und Mut besassen, die Zeit, bevor Träume zerplatzt sind, uns Menschen enttäuscht haben, von denen wir es am wenigsten erwartet hätten und uns alles irgendwie zugeflogen ist.
Es gibt Phasen, in denen wir es nicht schaffen, die Erinnerung daran zu wecken, wer wir waren, bevor wir uns irgendwo auf dem Weg verloren und begonnen haben, uns verunsichern zu lassen, an uns zu zweifeln, die Meinung anderer über die eigene zu stellen, uns in eine Opferrolle zu begeben, der Angst bedingungslos zu folgen und tatsächlich zu glauben, wir hätten keine Wahl.
Manchmal fällt es schwer sich daran zu erinnern was einen ausgemacht hat, als man seinem authentischen Selbst noch nah war, was einem Spaß gemacht hat, worin man richtig gut war, wovon man geträumt, wofür man gebrannt hat und wie großartig es sich angefühlt hat, es nicht immer allen recht machen zu wollen.
Mein Weg aus der Co - Abhängigkeit hat mich gezwungen, oder mir vielmehr ermöglicht, mir wieder all dessen bewußt werden zu wollen.
Ich hatte keine Ahnung wie ich wieder dorthin zurück gelangen sollte, aber ich entwickelte den überbordenden Wunsch, daß ich ab sofort in meinem Leben aufräumen wollte, um wieder klare Luft zum Atmen zu haben.
Ich wollte mir meinen Selbstwert und das Vertrauen in meine Wahrnehmung zurückerobern.
Ich wünschte mir, Verabredungen vereinbaren und mich uneingeschränkt darauf freuen zu können und wieder diejenige zu sein, die es selber in der Hand hat, wie es ihr geht. Ich wollte meine Rolle nicht mehr spielen, sondern wieder werden, wer ich (eigentlich) bin.
Ich war nicht mehr bereit Machtkämpfe und Manipulation in meinem Leben zu tolerieren und meine Bedürfnisse, so wie meine Intuition wie selbstverständlich zu übergehen.
Auf dieses Weise nahm ich ganz automatisch einen Richtungswechsel vor, und konnte auf ein konkretes Ziel zusteuern. Wie ich das erreichen konnte, ergab sich, sobald der neue Prozeß in Gang gesetzt war. Ich ging einen Schritt nach dem anderen. Manchmal waren es auch drei nach vorne und wieder vier zurück, aber ich versuchte mich nicht von den Rückschlägen und Stolpersteinen entmutigen zu lassen.
Ich bemühte mich, mich auf mein Ziel, und nicht auf die Angst zu fokussieren und ganz einfach darauf zu vertrauen, daß sich auf einem neuen Weg zwangsläufig neue Chancen und bisher vielleicht ungeahnte Möglichkeiten auftun würden.
Heute habe ich wieder festen Boden unter meinen Füßen, denn je weiter ich ging, umso sicherer und größer wurden meine Schritte und umso näher kam ich wieder zurück.
Zurück zu mir, und zurück zu einem Umfeld, das mir gut tut und in dem ich „Ich“ sein und wachsen kann.
Morgen fahre ich nach Venedig. Das Drama, die Streitereien und Machtkämpfe, die all meine/unsere Reisen, Ferien, Wochenendplanungen, oder Familienfeste jahrelang begleitet, oder vielmehr überschattet hatten, haben sich in Luft aufgelöst… wie ein Alptraum, an den man sich nur noch dunkel erinnert. Heute kann ich mich uneingeschränkt auf ein paar Tage mit Freunden freuen.
Wir werden seit langem wieder einmal den (entschleunigten) Puls einer Stadt spüren und uns von ihm mitreißen und treiben lassen.
Wir werden in Straßencafés das Geklapper von Cappuccino - Tassen, das laute Stimmengewirr verschiedener Gespräche, das leise Geraschel umgeblätterter Zeitungsseiten am Nachbartisch und das Zuschlagen von Haustüren hören, dem das Gelächter einer eingeschworenen Partycrew folgt. Wir werden Lippenstift anstatt Masken tragen, uns zur Begrüßung am Bahnhof umarmen, unendlich viele Fotos machen, Tränen lachen, in der Sonne dösen, mit einem Eis in der Hand über den Markusplatz schlendern und in diesen lauen Sommernächten, die nun vor uns liegen, am Rande der romantischen Kanäle Pasta und gegrillten Fisch essen.
Die Zeit meiner Co - Abhängigkeit hat mir extrem bewusst gemacht, wie kostbar unsere emotionale Freiheit und der gegenwärtige Moment ist und...
... wie wichtig es ist, nicht einfach vor sich hinzuleben, als gebe es für immer ein Morgen.
Byubye Co - Abhängigkeit!
Alles Liebe,
Julia
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