Das Leben eines Co - Abhängigen ist geprägt von Angst. Zumindest war es bei mir so. Ich hatte Angst vor jeder Umgebung, in der Alkohol verfügbar war, Angst vor Parties und Einladungen, Angst vor der nächsten Enttäuschung, und vor den Rückfällen sowieso. Natürlich versuchte ich mir das nicht anmerken zu lassen, aber innerlich erstarrte ich, wenn ich eine Krankenwagensirene hörte, und wurde nervös, wenn T. in einer geselligen Runde aus meinem Blickfeld verschwand. Ich fürchtete mich vor dem Einfallsreichtum einer für mich mehr als unangenehmen Person, die unsere Beziehung ganz gezielt torpedierte, was den Kampf gegen die Krankheit alles andere als leichter machte. Ich bangte vor jeder weiteren schlaflosen Nacht mit Drama und Streit, und vor dem nächsten Scherbenhaufen, den es zu beseitigen galt. Ich versuchte deshalb Ärger und alle potentiellen Stolpersteine zu umschiffen, und meinem Partner die Alkohol - Trigger aus dem Weg zu räumen. Ich war wie ein Winterdienst im Dauereinsatz.
Denn meine allergrößte Angst war es, T. eines Tages an den Alkohol zu verlieren.
Ich gönnte mir keine Auszeiten mehr, denn ich hatte mir selber die Aufgabe erteilt, 24/7 parat zu stehen. Nie im Leben wäre ich mit meinen Freundinnen über das Wochenende weggefahren, oder ohne T. verreist.
Ich lief wie auf rohen Eiern durch unser, von seiner Sucht dominiertem Leben.
Ich hatte es mir auf die Fahnen geschrieben zu funktionieren, und gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Ich fühlte mich verantwortlich. Für ihn, seine Probleme und dafür, zu verhindern, daß ihm in betrunkenem Zustand etwas zustößt. Niemals hätte ich es damals fertig gebracht, ihn sich selber zu überlassen. Ich gab mich stark und unermüdlich, obwohl ich längst am Ende meiner Kräfte war, selber immer öfter die Nerven verlor und mit T. zunehmend in heftige Streitereien geriet, ihn anschrieh und ihm Vorwürfe machte.
Das Schönste an Festen und Feierlichkeiten jeder Art war für mich, wenn wir sie ohne große Turbulenzen hinter uns gebracht hatten. Der bloße Gedanke an Weihnachten oder Geburtstage, konnte schon Monate im Voraus Nervosität und absolutes Unbehagen in mir auslösen, obwohl ich eigentlich ein Fan von liebevoll geplanten Kinderparties bin, und es mir immer die allergrößte Freude bereitet hatte, an Heilig Abend eine Magie zu verbreiten, die selbst dem hartgesottensten Weihnachtsmuffel beim Anblick des üppig geschmückten Christbaums die Tränen in die Augen treibt.
Aber ich habe irgendwann beschlossen mich, und alles was mich ausmacht aufzugeben, und bin der Angst ab diesem Moment bedingungslos gefolgt.
Ich war zwar in dem Glauben die Zügel an mich genommen zu haben, und alles zu lenken, doch in Wahrheit hatte ich die Verantwortung längst abgegeben. Die Verantwortung für mein Leben, und die Verantwortung für mein Glück. Während ich mich aufopferte, hatte ich eine Opferrolle eingenommen, ohne es zu merken.
Ich hatte meine Unbeschwertheit, meine Leichtigkeit und mein Urvertrauen verloren. Ich war nicht mehr die Schöpferin meines Lebens, sondern eine Gefangene meiner Co - Abhängigkeit, sowie der Alkoholsucht meines Partners, und der daraus resultierenden Probleme.
Wie es mir ging, hing zu einhundert Prozent davon ab, wie es ihm ging.
Warum ich das getan habe? Ganz einfach, weil ich die Krankheit Alkoholismus lange nicht verstanden habe. Ich dachte es gäbe keine andere Möglichkeit für mich. Für uns. Für ihn.
Und je schlechter es mir ging, umso mehr verlor ich das Vertrauen in das Leben und in meine Kraft. Ich war wie ein Hamster im Rad, der sich bis zur vollkommenen Erschöpfung abstrampelt, ohne sich dabei auch nur einen Millimeter von der Stelle zu bewegen. Ich war traurig, verunsichert, enttäuscht, überfordert, und sah damals keinen anderen Weg mit dieser Krankheit umzugehen.
Ich gab dem Leben die Schuld an dem ganzen Elend, und kam nicht auf die Idee, daß all das auch etwas mit mir zu tun haben könnte. Und damit will ich nicht sagen, daß es meine Schuld war, daß mein Partner getrunken hat. Keineswegs!
Was ich damit sagen möchte ist, daß solange wir uns für schmerzvolle Erfahrungen bemitleiden, kein Raum für das Bewusstsein entstehen kann, daß es an uns liegt, etwas zu verändern, indem wir beschließen, besagtes Hamsterrad zu verlassen. Das möchte niemand hören, aber ich denke es ist die unbequeme Wahrheit.
Wir können andere Menschen nicht ändern, und wir können schon gar nicht einen Alkoholiker davon abhalten zu trinken. Aber wir können uns jede Sekunde neu entscheiden, wie wir mit all dem umgehen.
Ich denke das trifft auch auf andere Krisen im Leben zu. Wenn sich jetzt die Stimmen melden, - und das werden sie! - die uns sagen wir haben keine Wahl, weil dies und das und jenes... das ist alles nicht so einfach... und die Firma und das Haus... ganz zu schweigen von den Finanzen…blahblahblah… sie lügen!
Wir haben eine Wahl. Immer!
Wir dürfen nur nicht erwarten, daß die Alternative zum aktuellen Elend leicht scheint, und von ganz alleine pfeifend um die Ecke gehüpft kommt. Wir dürfen nicht erst dann losgehen, wenn wir eine Antwort auf alle Fragen haben, oder eine Erfolgsgarantie in den Händen halten. Und wir dürfen schon gar nicht erwarten, daß jemand an unserer Tür klingelt, der uns eine Reiseroute inklusive Business Class Ticket, und Rücktrittsversicherung auf dem silbernen Tablett serviert.
Wir müssen uns von der Idee verabschieden, daß sich grundlegend etwas ändern kann, wenn wir nicht bereit sind, selber grundlegend etwas zu verändern.
Es kann nichts Neues entstehen, wenn wir nicht bereit sind, das Alte loszulassen. Das trifft auch auf unsere Einstellung zu. Sehen wir uns als Opfer, oder entscheiden wir uns dazu, an unseren Aufgaben zu wachsen, und nehmen die Dinge selbstwirksam in die Hand? Nehmen wir nur das Schlechte wahr, oder das Potential, an den Herausforderungen, die uns das Leben stellt, wachsen zu können? Fokussieren wir uns auf das was uns fehlt, oder darauf, was bereits da ist?
Befinden wir uns im Mangel, weil gerade alles nicht so läuft wie wir es uns gewünscht haben, oder entscheiden wir uns für Fülle? Vertreten wir den Standpunkt, daß das Leben uns etwas schuldig ist, oder umgekehrt?
Ich gestand mir ein, daß ich viel zu viel aufgegeben hatte, und ich mich selber nicht wieder erkannt hätte, wäre ich mir nach ein paar Jahren Funkstille so über den Weg gelaufen.
Ich ließ den Gedanken zu, daß diese Entwicklung meiner Person, nicht nur etwas mit meinem Partner, sondern auch etwas mit mir zu tun hatte. Ich war bereit endlich aufzuräumen. Und zwar bei mir. Ich war wild entschlossen hinzusehen, auch wenn es noch so schmerzvoll werden würde.
Ich war endlich soweit, mich meinen Ängsten und blockierenden Glaubenssätzen zu stellen, in meinem Inneren aufzuräumen, und zwar gründlich! Denn ich war nicht mehr bereit mich selber zu sabotieren.
Ich wollte nicht mehr, daß mein Glück davon abhing, daß ich alles für die Nüchternheit meines Partners tat, und fing an, mich wieder um mich zu kümmern.
Ich begann mich intensiv mit Persönlichkeitsentwicklung zu beschäftigen, hörte als festes Ritual jeden Abend einen Podcast in der Badewanne, ging wieder laufen, stylte mein Wohnzimmer um, brachte alles Kellergerümpel zum Wertstoffhof, und erweckte meine viel zu kurz gekommenen Freundschaften wieder zum Leben. Ich wartete nicht mehr ab, ob T. zur Ferienzeit in der Spur war, sondern plante Reisen mit Freunden unabhängig von ihm. Ich wollte meine kostbare Lebenszeit nicht mehr damit verbringen auf etwas zu warten, das ich nicht beeinflussen kann.
Und plötzlich sah ich wieder, wie schön mein Leben war, einzig und alleine, weil ich
meinen Blickwinkel geändert hatte. Ich sah nicht mehr was mir alles fehlte solange T. nicht trocken war, sondern was bereits alles da war. Die ganze Zeit über.
Ich erlaubte mir, den Fokus wieder auf Julia zu richten, und meine Energie darauf zu verwenden, das ganze Chaos in mir, und um mich herum zu beseitigen, den ganzen "Mindfuck", wie Dr. Petra Bock es nennt zu erkennen und über Board zu werfen. Ich las alle ihre Bücher und konnte dem Kind endlich einen Namen geben. Ich erkannte, daß ich mich seit Jahren im Selbstverleugnungs - MINDFUCK befand, der laut Dr. Bock keine Tugend, sondern ein Verrat an uns selber ist.
Ich beschloß, daß ich mir wieder ein Leben erschaffen wollte, daß es mir ermöglicht glücklich zu sein, ungeachtet ob mein Partner den Kampf gegen seine Krankheit gewann, ob wir zusammen blieben, oder nicht. Und wenn Du jetzt denkst, daß ich das nur sagen konnte, weil ich ihn nicht mehr liebte, muß ich Dich enttäuschen. Genau das Gegenteil war der Fall, aber ich war nicht mehr bereit mich „leben zu lassen.“ Ich wollte, egal ob er weiter trinkt oder es schaffen würde trocken zu werden, wieder zur besten Version meiner selbst, zur Schöpferin meines Lebens werden.
Ich war wieder bereit, mein Glück in meine Hände zu nehmen, anstatt mein Unglück mit seiner Krankheit zu rechtfertigen.
Ich wußte, daß der Weg nicht leicht war, aber ich traf bewußt die Entscheidung ihn zu gehen. Wenn es sein muß auch ohne ihn.
Byebye Co - Abhängigkeit!
Alles Liebe,
Julia
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