Alkohol ist nicht nur Teil unserer Kultur, sondern auch ein gesellschaftlich anerkanntes Genussmittel. Wir konsumieren ihn an Geburtstagen, in Vereinen, bei Strassenfesten und bei Familienfeiern. Wir trinken bei Hochzeiten und bei Beerdigungen. Wir trinken wenn wir die Berghütte erreicht haben, oder im Tal das Aprés Ski Programm beginnt. Wir genehmigen uns genau so gerne einen Drink zum Feierabend, wie zum Sonntagsbraten. Wir gehen in einem schicken Hotel noch auf einen Absacker an die Bar, freuen uns auf den Sundowner im Urlaub, einen Aperitif vor dem Essen, und die Happy Hour nach dem Büro. Wir stossen beim Brunch mit Sekt, auf Parties mit Gin Tonic, beim Grillen mit Bier, beim Dinner mit Champagner, vor dem Kamin mit Whiskey, und auf dem Weihnachtsmarkt mit Glühwein an. Der hervorragende Bordeaux wird schon beim Kochen verköstigt, anschließend in die Soße gekippt, die Crêpes mit Grand Marnier flambiert, und der Kuchen mit Eierlikörsahne bestrichen.
Der Ouzo beim Griechen ist Usus, der Limoncello beim Italiener eine vertraute Geste der Gastfreundschaft, und ein eisgekühltes Radler gehört in Bayern zum Sommer wie Eis am Stiel.
Dem schweren Käsefondue spült man kollektiv, zur vermeintlich besseren Verdauung, einen hochprozentigen Schnaps hinterher. Oder zwei. Oder drei.
Alkohol ist gesellschaftsfähig, und für die meisten von uns im Privatleben allgegenwärtig. Und sogar im Job sind Sekt & Co. nur schwer wegzudenken. Bei Weihnachtsfeiern knallen die Korken, und wenn es erfreuliche Neuigkeiten, schwarze Zahlen, oder eine Beförderung zu verzeichnen gibt, wird auch gerne einmal mit den Kollegen angestossen. Kein Wunder, denn Alkohol schmeckt, kann ein gutes Essen perfekt abrunden, und uns zudem zweifelsohne richtig großen Spaß bereiten!
Auf der anderen Seite dürfen wir - ohne den Alkohol komplett zu verteufeln -, auch nicht unter den Teppich kehren, daß er neben Nikotin Suchtmittel Nummer eins darstellt!
Alkohol ist gesellschaftsfähig, obwohl er eine psychoaktive, weit verbreitete Droge ist.
Das heißt, daß er die menschliche Psyche beeinflußt. Dabei ist Alkohol extrem vielseitig einsetzbar, was ihn umso gefährlicher macht.
Er unterstützt Dich beim Einschlafen, und macht Dich munter. Er hilft Dir zu vergessen und Dich zu erinnern. Alkohol putscht Dich auf, und entspannt Dich. Er verleiht Dir Mut, und schenkt Dir Gelassenheit. Alkohol kann Dir genau so die Angst vor der Einsamkeit, wie die Furcht vor vielen Menschen nehmen. Er ist sogar im Stande, Deine Schüchternheit mit allen Unsicherheiten für eine gewisse Zeit auszuschalten.
Und… Alkohol ist 24/7 für wenig Geld zu haben.
Du bekommst ihn überall: in Restaurants, in Kneipen und Bars sowieso, aber auch im Schwimmbad und im Kino, im Theater und der Oper, in der Eisdiele, am Kiosk, am Bahnhof, im Zug genau so wie im Flugzeug, und auf Skihütten.
Er steht sogar in der Minibar Deines Hotelzimmers, ohne daß Du darum gebeten hast. Fast, als seien alkoholhaltige Getränke ebenso existenziell, wie ein Bett, Handtücher und Klopapier.
Ein trockener Alkoholiker, der um seine Nüchternheit fürchtet, muß beim Einchecken darum bitten, daß der Alkohol aus seinem Zimmer entfernt wird. An Tankstellen und in Supermärkten stehen kleine Schnapsflaschen griffbereit und schön handlich an der Kasse: 38% Vol to go. Wie aufmerksam! Ich mutmaße, daß diese, neben den Süssigkeiten für die Kinder, für die Zielgruppe der Alkoholiker hier stehen. Zumindest fällt mir sonst niemand ein, der auf diesen hochprozentigen Spontankauf anspringen würde.
Ich finde es tatsächlich unglaublich, daß die Bundesregierung samt ihrer Drogenbeauftragten so etwas duldet. Es gibt dramatisch und emotional bebilderte Kampagnen, die aufklären sollen, wie gefährlich die Nutzung eines Handys am Steuer ist, aber gleichzeitig darf an Tankstellen Alkohol verkauft werden?
Das ist in meinen Augen „nüchtern betrachtet“, der Inbegriff eines Paradoxon. Die Präsentation von hochprozentigem Schnaps in den Miniflaschen zum „auf ex trinken“, sollte in meinen Augen ohnehin komplett verboten werden. Überlegen wir doch einmal, für welche Zielgruppe, abgesehen von Alkoholikern und Jugendlichen diese Formate interessant sein könnten?
Spaziergänger, die sich spontan entschließen, sich neben der Waschstrasse einen Weinbrand zu genehmigen? Mütter, denen beim Tanken einfällt, daß neben Taschentüchern und Pflastern der Wodka Shot "für alle Fälle" in der Handtasche fehlt? Oder stehen sie vielleicht für einen Kegelverein in Partystimmung bereit? Wohl eher nicht.
Bleibt es wohl bei den Alkoholkranken und Jugendlichen, die ganz offensichtlich zum Alkoholkonsum animiert werden sollen.
Ich habe einige Alkoholiker zu diesem Thema befragt, und sie bestätigten mir, welch harter Gang diese wenigen Meter vor der Kasse oftmals für sie darstellten, und wie häufig sie den Kampf dieser Verführung verloren haben. Während die Familie, der Partner, oder Freunde im Auto saßen, warteten sie, wie sie mir schilderten, nur auf die passende Gelegenheit, die kleinen, in der Jackentasche versteckten Fläschchen heimlich zu leeren. Geht ja auch schnell und unauffällig bei der Größe. Und sollten jetzt Stimmen laut werden, die der Meinung sind, daß jeder Mensch selber „schuld“ ist, wenn er trinkt, möchte ich, abgesehen von einem Aufklärungsgespräch über die Krankheit Alkoholismus, gerne zu bedenken geben, daß alkoholisierte Autofahrer, abgesehen von der „Schuldfrage“, nunmal eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen.
Während wir all das tolerieren, blenden wir das riesengroße gesundheitliche Problem hinter diesen cleveren, wie fragwürdigen Produktplatzierungen aus. Ich finde es ist an der Zeit, dass wir in unserer Gesellschaft endlich offen, und ohne Verurteilung, auch über die Schattenseiten des Alkohols sprechen, und dementsprechend handeln. Alkoholismus wird nach wie vor tabuisiert, verleugnet und ignoriert, so gut es geht. Niemand möchte mit dem regelrechten Stigma dieser Krankheit in Zusammenhang stehen, oder riskieren, daß die Freude über den eigenen Konsum in irgendeiner Weise getrübt wird. Wenn wir ahnen, daß ein Mensch, der uns nahesteht, den wir lieben, alkoholsüchtig ist, neigen wir zunächst einmal dazu, das Ganze zu bagatellisieren.
„Schließlich trinkt ja jeder einmal einen über den Durst… und es war ja auch ganz schön stressig in letzter Zeit… und wer jeden Tag seinen Job macht ist doch kein sowieso Alkoholiker...“
Von wegen! Den Alkoholiker findet man eben nicht nur arbeitslos unter der Brücke. Der Übergang vom riskanten Trinken, zum Missbrauch, bishin zur chronischen Abhängigkeit, ist immer ein schleichender Prozeß.
Alkoholsüchtige Menschen gibt es in jeder Berufsgruppe und jeder erdenklichen Lebenssituation, und das Trinkverhalten bei einer Alkoholkonsumstörung ist so individuell, wie der Mensch selber. Je früher wir uns trauen, der schmerzvollen Wahrheit in die Augen zu sehen wenn wir betroffen sind, umso schneller können wir Handeln. Und das ist wichtig! Denn bist Du co - abhängig, bedeutet das, daß Dein eigenes Leben, Handeln, und Wohlbefinden früher oder später komplett von der Alkoholsucht des Kranken gesteuert wird. Aus Scham, Unwissenheit, und Überforderung versucht man in diesem Zustand nach "Außen" den Schein zu wahren, und alles am Laufen zu halten. Dieser permanente Druck, die Unsicherheit, die Angst, und der Alltag, der zwangsläufig zu einer Zerreißprobe wird, wirken sich über kurz oder lang nicht nur auf das Gemüt, sondern natürlich auch auf die Gesundheit des Co - Abhängigen aus.
Schaffen wir es in unserer Gesellschaft endlich offen, und ohne Verurteilung auch über die Schattenseiten des Alkohols, die so viele Menschen aller sozialen Schichten betrifft, sprechen zu können, wäre das ein großer Schritt.
Für uns alle.
Denn Fakt ist, daß ein Mensch mit unkontrolliertem Alkoholkonsum nicht nur sich selber, sondern auch seiner Familie massiv schadet, und jährlich mehrere Millionen Menschen an den vielfältigen Folgen ihres Alkoholkonsums sterben. Dann ist die Happy Hour definitiv vorbei.
Alkohol
ist dein Sanitäter in der Not
Alkohol
ist dein Fallschirm und dein Rettungsboot
Alkohol
ist das Drahtseil, auf dem du stehst
Alkohol
ist das Schiff mit dem du untergehst
Herbert Grönemeyer
Byebye Co - Abhängigkeit!
Alles Liebe,
Julia
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