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Frohe Weihnachten!

Julia Maria Kessler

Es ist oft sehr verführerisch der Angst bedingungslos zu folgen, auch wenn wir eigentlich wissen, daß sie ein sehr schlechter Ratgeber ist und (meistens) alles nur noch schlimmer, anstatt besser macht.


Wir alle erleben derzeit, wie unser gewohntes Leben durch eine Pandemie komplett auf den Kopf gestellt wird.


Die meisten von uns arbeiten von zu Hause aus und Meetings, oder Firmenfeiern finden nur noch am Bildschirm statt. Während die einen ihrer Arbeit gar nicht mehr nachgehen dürfen und um ihre Existenz fürchten, schieben Ärzte, Sanitäter, Krankenschwestern, Polizisten, die Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit, genau wie die von Supermärkten für uns alle Überstunden, während sie selber dem Virus in der „ersten Reihe“ ausgesetzt sind.


Die Schulen unserer Kinder sind zu, man weiß nicht ob Grenzen gesperrt werden, oder wann Restaurants, Geschäfte und Freizeiteinrichtungen wieder öffnen dürfen. Voraus zu planen ist durch Covid nahezu unmöglich geworden und die Ungewissheit aktuell unser ständiger Begleiter.


Wir erleben eine Adventszeit ohne Weihnachtsfeiern, Christkindlmärkte, Plätzchen backen mit der Oma, oder gesellige Adventssonntage mit unseren Freunden und die anstehenden Feiertage werden die meisten von uns sicherlich anders verbringen, als ursprünglich geplant. Dieses Jahr gibt es keine große Tafel, an der man eng beieinander sitzt und noch einen zusätzlichen Stuhl holt, wenn der Nachbar spontan frohe Weihnachten wünscht. Auch das Weihnachtsgans - Essen im festlich geschmückten Lieblingsrestaurant fällt 2020 aus.


Zu kompensieren wird in diesen Tagen erheblich schwerer als sonst. Wir können uns nur schwer ins Vergnügen stürzen und uns vorgaukeln, der Spaß den wir erleben, sei Glück und ein Barometer unserer Zufriedenheit.


Wir können nicht mehr so leicht von zu Hause, vor inkompatiblen Gefühlen, oder vor faulen Kompromissen flüchten, unsere Probleme unter den Teppich kehren, oder ausblenden, daß wir eine ungesunde Beziehung führen... schließlich sitzen wir nahezu 24/7 aufeinander. Ohne große Ablenkung.


Jede Krise offenbart gnadenlos, was man bisher vielleicht noch ignorieren, oder bagatellisieren konnte.


Ich habe in den letzen Tagen oft an die Zeit gedacht, als ich noch mit einem nicht trockenen Alkoholiker zusammengelebt und mich verzweifelt an zwei Dinge geklammert habe: die Hoffnung, daß ab morgen alles anders wird, und seine Versprechen, daß ab morgen alles anders wird.


Ich war Meisterin des Vertuschens und des Geradebiegens, fertigte aus dem Stegreif maßgefertigte Ausreden, und Selbstsabotage wurde zu meiner Königsdisziplin.


So zerstörerisch und toxisch dieser Zustand auch war, wurde er für mich vertraut, und in gewisser Weise zur „Normalität“. Ich entwickelte Taktiken und verschiedene Mechanismen, um den Schein zu wahren, alles so gut es ging am Laufen, und die Kinder aus der Schusslinie zu halten. Ich arrangierte mich mit einer Realität, die ich mir, in gewisser Weise selber mit - erschaffen hatte, und die von Angst, Manipulation und der Sucht meines Partners und seinen Problemen kontrolliert wurde.


Alle Menschen, die in ihrem privaten Umfeld keine Stabilität haben, und schon im Normalzustand mit Gefühlen von Hilf- und Machtlosigkeit zu kämpfen haben, sind nun, unter diesem massiven Druck der Pandemie, sehr wahrscheinlich mehr denn je aufgefordert, sich mit ihren vertrauten, aber schwierigen Umständen neu auseinanderzusetzen.


Hinzu kommt das wahrscheinlichste emotionalste Fest des ganzes Jahres, das durch all die aktuellen Auflagen großes Potential birgt, für den ein oder anderen noch herausfordernder zu werden, als ohnehin schon.


Dabei ist Weihnachten doch die allerschönste Zeit des Jahres!

Oder etwa nicht?


Ich verrate Dir, wie ich das sehe. Ich persönlich liebe, liebe, liebe Weihnachten, mit all seiner Magie, Glitzer, Kerzen, Dean Martin, Ilexkränzen, liebevoll verpackten Geschenken mit Satinschleifen, selbstgebastelten Kalendern für die Kinder, und würde es trotzdem nicht als die schönste Zeit des Jahres bezeichnen. Warum? Weil ich denke, daß genau hier das Problem liegt.


Die Aussicht, daß genau ab dem 1. Advent die schönste Zeit des ganzen Jahres beginnen muß, erzeugt keine Vorfreude, sondern nichts als enormen Druck, wenn es gerade nicht so läuft, wie man es sich vorgestellt hat.


Dieser Druck wird durch perfekte „heile Welt Inszenierungen“ in Werbespots, Spielfilmen und Zeitschriften nicht nur manifestiert, sondern überdimensional groß aufgeblasen. Wir lassen uns suggerieren, wie genau diese perfekte Version der staaden Zeit auszusehen hat.


Aber was ist, wenn das Geld knapp, die Familie zerstritten ist und der ( Ex- ) Partner die Feiertage mit seiner neuen Flamme verbringt? Heißt das, daß man sich vor der Weihnachtszeit fürchten und darauf hoffen muß, daß sie möglichst schnell vorüber geht?


Ganz und gar nicht! Ich denke, daß nicht die Feiertage, sondern unsere Erwartungen das Problem sind und die Tatsache, daß es uns schwerer fällt, uns, in solch von Emotionen geschwängerten Zeiten, etwas vorzumachen.


Natürlich wünschen wir uns alle die perfekte Version unseres Lebens. Ganz besonders an Weihnachten. Aber wenn dem gerade nicht so ist, heißt das nicht, das wir automatisch noch etwas trauriger und frustrierter sein müssen, als ohnehin schon.


Der Trick ist, sich von den Erwartungen zu verabschieden und sich zu überlegen, was die beste Version der Feiertage ist, die in der aktuellen Situation möglich ist.


Vielleicht hat einen der Weihnachtsbaum sowieso immer gestresst, und man nutzt die unglücklichen Umstände, um dieses Jahr komplett auf einen Baum zu verzichten. Oder man nimmt sich vor, jetzt erst recht den allerschönsten, größten, prächtigsten Baum zu schmücken, der nicht sagt:

Hier ist jemand einsam, verlassen und traurig, sondern hier haben wir es jemandem zu tun, der es sich selber wert ist, sich eine Freude zu bereiten und es sich so schön wie nur möglich zu machen. Wenn kein Partner da ist, der Dich mit einem schönen Geschenk überrascht, dann besorge Dir selber eins und freue Dich darauf, es an Heilig Abend auszupacken. Wenn Du Weihnachten nicht ausstehen kannst, klinke Dich aus, mache es Dir richtig gemütlich und sehe Dir Deine Lieblingsfilme an. Ganz ohne Lichterketten, Kugeln und Plätzchen.


Nirgendwo steht geschrieben, wie wir diese Tage zu verbringen haben. Wir haben lediglich irgendwann beschlossen, zu glauben es hat genau so laufen, wie wir es vermittelt bekommen und müßten im Umkehrschluss unendlich traurig sein, wenn es anders kommt…


… zum Beispiel durch eine Pandemie.


Sobald wir die Luft aus diesem perfektionierten Weihnachtsballon, der schon ab Oktober über uns kreist, herauslassen, ist es plötzlich nur noch ein Monat mit vielen Feiertagen, die wir planen können, wie es uns gefällt, oder wie es eben gerade möglich ist.


Wir fallen ja auch nicht in eine Sinneskrise, wenn mal kein großer Sommerurlaub drin ist, sondern verbringen stattdessen einfach schöne Badetage am See, sonnen uns auf dem Balkon, gehen in die Berge, oder picknicken im Stadtpark. Und ganz ehrlich, eine schlechte Phase, eine Krise, ein Verlust oder gar Schicksalsschlag ist schrecklich und herausfordernd, auch wenn Frühling ist.


Weihnachten kann nichts dafür wenn es uns schlecht geht, sondern vermag der Spiegel zu sein, der uns klar und deutlich zeigt, daß wir uns in einem Leben befinden, daß sich nicht richtig anfühlt und uns nicht gut tut.


So war es auch bei mir. Ich stand während der Beziehung mit einem Alkoholiker während der Weihnachtszeit extrem unter Strom, weil ich die vielen Versuchungen auf den Weihnachtsfeiern, Christkindlmärkten und gemütlichen Umtrunken fürchtete, wie der Teufel das Weihwasser.


Und auch wenn es letztendlich gut läuft, bist Du als Co - Abhängiger so unendlich angespannt, daß jede Unbeschwertheit und Vorfreude gekillt wird, und die möglichen Freuden des Dezembers, nicht mehr im Verhältnis zu Deiner nervlichen Anspannung im Vorfeld stehen. Und obwohl es mir mit diesem Zustand alles andere als gut ging, konnte ich das natürlich auf keinen Fall zeigen, sondern gab mich fröhlich und unbeschwert und kümmerte mich freiwillig alleine um alles, was es zu tun gab, um seine Stimmung nicht unnötig zu gefährden. Seine Aufgabe war es nichts zu trinken, und alles andere hing an mir. Und war der 24.12. heil überstanden, lauerte nach diesem Spießrutenlauf direkt Silvester um die Ecke.


Damals gab ich Weihnachten die Schuld an meinem Zustand, und entwickelte eine regelrechte Antipathie, für diese, mir bis dato so heiß geliebte Zeit.


Ich war so erleichtert, wenn endlich Januar, das Zittern und gute Miene zum bösen Spiel machen, vorüber war, denn durch die Krankheit meines Partners wurden diese vier Wochen für mich zu einer nervlichen Zerreißprobe.


Dieses Jahr gibt es weder Glühweinstände, noch rauschende Parties und sicherlich ändert das trotzdem rein gar nicht an der Anspannung vieler Co - Abhängiger. Das Problem, oder Trinkverhalten verlagert sich ganz einfach, da es nichts mit den äußeren Umständen zu tun hat. Man kann es nicht von Außen nach Innen lösen! Auch ohne offensichtliche alkoholische Verführungen schnellen die Hilferufe bei Suchtberatungen aktuell in die Höhe. Wenn man einmal wirklich begreift, daß es nicht um die Umstände geht, sondern darum Verantwortung zu übernehmen und zu lernen, die Segel richtig zu setzen, wenn einem der Wind eiskalt entgegen bläst, hat man eine Chance, das Suchtsystem zu durchbrechen.


Ich gab jahrelang den bösen Feiertagen die Schuld, da sie meinen Partner so leicht von seinem Weg abbringen konnten und vergaß darüber, daß er beginnen mußte, endlich Verantwortung zu übernehmen.


Die Pandemie zeigt mir eines ganz deutlich: geschlossene Kneipen und abgesagte Parties ändern absolut NICHTS am Trinkverhalten eines Alkoholkranken, denn der Einzige, der nachhaltigen Einfluß darauf hat, ist der Kranke selber.


Wenn ein eigentlich schöner Anlass bedrückt und Angst macht, kann und sollte das augenöffnend sein und einem zeigen, daß es etwas Grundlegendes zu verändern gilt. Somit können die gefürchteten Feiertage auch ein Anstoß sein, darüber nachzudenken, was man gewinnen würde, wenn man ins Handeln käme, anstatt sich aus Angst vor Veränderung weiterhin mit dem eigenen Leben zu arrangieren.


Bleiben wir stehen, wo es uns nicht gefällt, oder dulden schlechte Gesellschaft und eine toxische Beziehung, weil wir uns nicht unserer Angst alleine zu sein stellen möchten, oder beginnen wir Verantwortung für unser Glück zu übernehmen und trauen uns, unsere Gedanken zu hinterfragen, die berühmte Komfortzone zu verlassen und neue Blickwinkel einzunehmen?


Wie wir die Dinge betrachten, und was wir in unserem Kopf daraus machen, liegt an uns.


Mir ging es an meinem ersten Geburtstag nach der Trennung so. Der Mann, mit dem ich damals den Rest meines Lebens verbringen wollte, wohnte aufgrund der fatalen Auswirkungen seiner Trinkerei nicht mehr bei mir und die Vorstellung, am Geburtstagsmorgen ohne ihn aufzuwachen, lag wie Blei auf meinem Herzen. Hinzu kam der Frust darüber, daß ich nicht nur auf ihn, sondern auch auf seine Blumen und einen Kuchen verzichten müßte, da meine Kinder noch nicht alleine backen konnten. Ich fühlte mich durch meinen nahenden Ehrentag so einsam und unglücklich, wie selten zuvor und versank geradezu im Selbstmitleid... bis mir ein Gedanke kam.


Wenn ich für alle Menschen, die einen Platz in meinem Herzen haben, immer mit großer Freude den wunderschönsten Geburtstagstisch vorbereitete, warum dann nicht auch für mich?


Ich beschloss in diesem Moment wieder eine Beziehung mit mir einzugehen und mir selber einen bombastischen Blumenstrauß in meiner Lieblingsgärtnerei zu kaufen, und mir keinen Kuchen zu backen, sondern mir eine prächtige Torte mit rosa Fondant und Zuckerblüten zu bestellen. Ich ließ sie mit den Abschiedsworten von Laura Seilers Podcast beschriften, der mir beim schwierigen Weg aus der Co - Abhängigkeit eine riesengroße emotionale Stütze war: Rock on & Namasté!


Ab diesem Moment freute ich mich auf meinen Geburtstag, weil ich mich entschieden hatte es zu tun.


Das zunächst traurige Bild in meinem Kopf hatte sich gewandelt, weil ich beschlossen hatte es zu ändern, indem ich begann, mich auf etwas Reelles zu freuen, anstatt mich weiterhin kopfüber in einem Trauerszenario zu suhlen.


Was das nahende Weihnachtsfest und die Feiertage angeht, hatte auch ich, wie viele andere auch, anders geplant. Doch ich merke immer mehr, wie sehr ich mich auf meine innere Stabilität verlassen kann, auch wenn die äußere ins Wanken geräht. Ich bin nicht traurig über die Menschen, mit denen ich nicht feiern kann, sondern freue mich über die, die um mich herum sein werden. Zu fühlen, wie Ängste und Abhängigkeiten mehr und mehr aus meinem Leben verschwinden, so daß ich wieder diese Leichtigkeit und das Vertrauen spüren kann, macht mich mich unendlich dankbar.


Außerdem freue ich mich schon jetzt darauf, wenn wir unsere gewohnte Freiheit wiederhaben und wir uns wieder umarmen können, uns zu zehnt auf eine viel zu kleine Bank quetschen, wir in einem Strassensafe dem Stimmengewirr und Geklapper der Cappucinotassen lauschen und hören können, wie am Nachbartisch raschelnd die Zeitungsseite umgeblättert wird. Wir werden wieder reisen, mit unserem Liebsten in der einen und einem Eis in der anderen durch wunderschöne Städte schlendern, im Meer schwimmen, an einem lauen Sommerabend auf einem überfüllten Steg sitzen, Parties feiern, einen Tisch in unserem Lieblingsrestaurant reservieren und Lippenstift anstatt Masken tragen. Bis es soweit ist, versuche ich das Beste aus dieser Situation zu machen.


Und was Weihnachten angeht, habe ich mir das allergrößte Geschenk längst selber gemacht: es ist mein Umfeld.


Die Qualität Deines Umfelds, bestimmt die Qualität Deines Lebens.


Es gibt keine energieraubenden, Opportunisten mehr, die versuchen meinen Selbstwert mit allen Mitteln zu demontieren, um ihren zu steigern. Es ist wieder möglich zu reden, zu vertrauen, richtig verstanden und gesehen zu werden. Es existieren keine Machtkämpfe, Triumphe über das letzte Wort, Lügen oder Beleidigungen unter der Gürtellinie. Je mehr Abstand ich gewinne, umso unbegreiflicher scheint es mir, daß ich nicht schon viel früher Konsequenzen gezogen habe und umso wütender werde ich und ich habe mich gefragt, wie das sein kann, da ich so glücklich bin, daß diese Zeit hinter mir liegt und ich ihr in keinster Weise hinterher trauere. Die Antwort gab mir meine Freundin, die sagte, diese Wut ist noch in Dir und möchte endlich raus. Du hast sie nie zugelassen, weil Du viel zu sehr damit beschäftigt warst IHN in Schutz zu nehmen, Verständnis zu haben und ohne Groll loszulassen. Ich denke, sie hat Recht. Diese Wut hatte ich vergraben und je mehr Abstand ich habe, umso deutlicher meldet sie sich zu Wort… nicht aggressiv, nachhaltig oder belastend, sondern sehr wohltuend. Ich lasse diese Gefühle zu und nehme sie wahr, um sie, als letzten Teil meiner Heilung gehen zu lassen… und es fühlt sich richtig und gut an.


Ich erinnerte mich im Zuge dessen an einen Spruch meiner Oma, die gerne sagte: „Wem nützt schon das schlechte Leben?“ „Mimi, wie Recht Du doch hattest!“


Heute folgen Worten wieder Taten und ich weiß, daß ich mich blind darauf verlassen kann, wenn man mir sagt: „I will take care of you.“


Frohe Weihnachten!



Byebye Co - Abhängigkeit!

Alles Liebe,

Julia




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Mit allen Mitteln.

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