Einhundertprozentige emotionale Sicherheit kann in einer Beziehung das Synonym für grandiose Langeweile zu zweit sein. Was fest steht ist, daß die Liebe zu einem Alkoholiker definitiv niemals in dieser Sackgasse enden wird. Denn eines ist man als co - abhängiger Partner zu keinem Zeitpunkt: emotional auf festem Boden. Selbst in den guten Phasen wappnet man sich insgeheim schon für den nächsten Crash. Man ist stets aufmerksam, mehr oder weniger in Habachtstellung, und versucht alles wahrzunehmen, was auf einen negativen Umschwung hindeuten, oder ihn auslösen könnte.
Man checkt den Atem, den Blick, die Stimmung. Die ganze Zeit.
Man ist konzentriert und mit einhundert Prozent seiner Aufmerksamkeit bei der Sache, als sei man der Bodyguard eines Staatsoberhaupts.
Man erliegt wieder und wieder der Illusion, man könne den nächsten "ersten Schluck" vielleicht abwenden, oder sich zumindest darauf vorbereiten. Die Wahrheit ist, man kann weder das eine, noch das andere.
Insgeheim weiß man das, und versucht deshalb, die guten Momente in dem Bewusstsein zu genießen, daß sie ein Verfallsdatum haben. Manchmal gelingt es, sich von dem Damoklesschwert Rückfall, das einem wie der eigene Schatten folgt abzulenken, und die Hoffnung, daß doch noch alles gut werden wird, wieder mit aller Kraft zu entfachen. Man pustet verzweifelt in die fast erloschene Glut, doch auch wenn die letzten verkohlten Holzscheite im Kamin noch einmal auflodern, ist es am Ende doch immer nur ein kurzer Zauber.
Wie lange man sich in diesem Suchtsystem dreht, hängt wahrscheinlich nicht vom Leidensdruck ab, denn der ist schnell groß genug, um jederzeit daran zerbrechen zu können. Es geht vielmehr darum, die Macht der Gewohnheit zu durchbrechen, und bewußt die Entscheidung zu treffen, dieses Spiel nicht mehr länger mitspielen zu wollen.
Ich wartete jahrelang darauf, daß es bei meinem Partner "Klick" macht, doch am Ende legte sich nicht bei ihm, sondern bei mir der Schalter um, der alles veränderte.
Ich nahm einen neuen Blickwinkel ein, und sah plötzlich unsere Situation, und all das, was passierte, sich endlos wiederholte, und immer schlimmer als besser wurde, ganz klar als das, was es schon lange war: eine Abwärts - Spirale ohne Exit.
Und dieser neue Blickwinkel war bereits mein erster Schritt aus der Co - Abhängigkeit.
Ich begriff, daß ich diejenige war, die sich bewegen, ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich lenken mußte. Ich fragte mich, wann der Wendepunkt war, ab dem T. zum Epizentrum eines Karussells geworden ist, um das ich unermüdlich kreiste?
Ich wußte es nicht mehr.
Doch wer zwang mich heute, weiterhin eine Runde nach er anderen zu drehen und darauf zu hoffen, daß das der Weg war, der meinen Partner irgendwann zu einem trockenen Alkoholiker werden ließ? Wie kam ich überhaupt auf die Idee, daß sich etwas ändern konnte, wenn sich nichts veränderte, sondern vielmehr verschlechterte?
Die unbequeme Wahrheit ist, daß Veränderungen nicht mit fertigen Lösungen, sondern immer mit einer Entscheidung beginnen.
Wir verharren in elendigen Komfortzonen, die längst keine mehr sind, weil wir uns gut in ihnen auskennen. Wir haben die Spielchen schon tausend Mal gespielt, und wissen was zu tun ist, was uns bestimmte Menschen oder Situationen abverlangen, und wir handeln irgendwann fast mechanisch.
Es tut uns nicht gut, aber es ist uns vertraut.
Wir sind zu Profis geworden. Wie ein Schauspieler, der seit Jahren dasselbe Stück aufführt. Und wir spielen es viel zu lange mit, da uns das Unbekannte häufig noch mehr ängstigt, als das reale Unglück. Oftmals kommen blockierende Glaubenssätze hinzu, derer wir uns meist nicht einmal bewußt sind, die uns aber dennoch extrem beeinflussen. Sie sitzen tief und fest, und steuern uns, wie ein innerer Pilot.
Nicht selten machen uns diese tief verwurzelten Überzeugungen eine höllische Angst, die uns davon abhält, Veränderungen in unserem Leben zu wagen.
Angst, nichts wert, nicht gut genug zu sein, Angst das Leben finanziell alleine nicht meistern zu können, Angst vor der Bewertung anderer, Angst vor Ablehnung, oder Angst zu versagen. Also fügen wir uns oft in unser Schicksal, und hoffen still und leise, daß sich die Umstände irgendwie von alleine ändern. Wie durch Zauberei oder ein Wunder. Aber das werden sie nicht! Es liegt an uns, uns zu bewegen, und ins Handeln zu kommen. Aber wenn wir erst dann losgehen, wenn wir einen Lösungskatalog mit allen Antworten auf unsere Fragen, und garantiertem Happy End in den Händen halten, werden wir uns wahrscheinlich nie bewegen. Aber es geht überhaupt nicht darum, alles auf einen Streich zu klären.
Im ersten Schritt reicht es aus eine Entscheidung zu treffen. Bewußt und klar.
Meine Entscheidung traf ich eines Tages, still, aber entschlossen. Ich wollte aus dem Karussell der Co - Abhängigkeit, des Hoffens, des Wartens, des Funktionierens, des isoliert Seins, des enttäuscht Werdends, und der ständigen Angst vor Rückfällen aussteigen. Ich drehte nun schon seit Jahren eine Runde nach der anderen, und hatte genug davon. Ich hatte keine Ahnung wie ich das genau anstellen sollte, aber ich wußte, daß ich ab sofort in meinem Leben aufräumen wollte, um wieder klare Luft zum Atmen zu haben. Ich wünschte mir, wieder Verabredungen vereinbaren und mich uneingeschränkt darauf freuen zu können, und wieder diejenige zu sein, die es selber in der Hand hat, wie es ihr geht. Ich hatte keine Lust mehr auf den Job der „Supernanny".
Auf dieses Weise nimmt man ganz automatisch einen Richtungswechsel vor, und kann auf ein konkretes Ziel zusteuern. Wie man das erreicht, ergibt sich sobald der neue Prozeß in Gang gesetzt ist. Ich ging einen Schritt nach dem anderen. Manchmal waren es auch drei nach vorne und wieder vier zurück, aber ich versuchte mich nicht von den Rückschlägen und Stolpersteinen entmutigen zu lassen.
Ich bemühte mich, mich auf mein Ziel, und nicht auf die Angst zu fokussieren, und ganz einfach darauf zu vertrauen, daß sich auf einem neuen Weg zwangsläufig neue Chancen, und bisher vielleicht ungeahnte Möglichkeiten auftun würden.
Es ist wie beim Reisen. Sobald Du von Deinem Sofa aufstehst und Dich auf den Weg machst, wirst Du automatisch neue Landschaften, Sprachen, Kulturen, Speisen und Menschen kennenlernen, die Dir, solange Du Dein Wohnzimmer nicht verläßt, nicht begegnen können.
Heute habe ich wieder festen Boden unter meinen Füßen. Ich laufe auch jetzt noch manchmal wackelig, aber immerhin laufe ich, und sitze nicht mehr in der passiv mechanischen Rolle der funktionierenden Co - Abhängigen in diesem Karussell fest. Und je weiter ich gehe, umso sicherer und größer werden meine Schritte, und umso näher komme ich wieder zurück. Zurück zu mir.
Byebye Co - Abhängigkeit!
Alles Liebe,
Julia
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