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Die Schuldfrage.

Ich war in den Pfingstferien mit Familie und Freunden in Venedig. Ich bin vier Tage länger geblieben als die anderen, habe von dort aus gearbeitet und nebenbei die Magie und den Rhythmus dieser zauberhaften Stadt genossen. Zwischen dem morgendlichen Geklapper von Kaffeetassen, dem geschäftigen Treiben der Marktstände, Spaziergängen durch verwinkelte Gassen, dem Überqueren der verwunschenen Kanäle, frischem Fisch zum Lunch, Cicchetti vor dem Dinner, inspiriert und beseelt von dem Treiben der schönsten Stadt, die ich kenne und eingehüllt in den Duft des Meeres, erreichten mich vier Mails, denen noch vorort telefonische Kennenlern - Gespräche mit den neuen Klientinnen folgten. Alle, beschrieben mir unter Tränen ein ähnliches Szenario, das mir selber nur zu gut bekannt ist und das häufig so, oder sehr ähnlich klingt:


„Mein Partner hatte wieder einen schlimmen Rückfall… ich kann wirklich nicht mehr… Ich habe den Notarzt gerufen… er/sie ist betrunken Auto gefahren… hatte einen Unfall… eine Platzwunde…die Polizei hat mich angerufen, weil sie ihn/sie mit knapp drei Promille schlafend auf einer Parkbank gefunden haben… ich wußte drei Tage lang nicht, wo er/sie ist… es gab einen schlimmen Streit, bei dem er/sie jetzt sogar die Kinder angeschrieen hat… er/sie ist barfuss vom Balkon gesprungen um Alkohol zu kaufen… er/sie hat gedroht sich umzubringen…“


Ich kann die Ohnmacht, die Enttäuschung und die Verzweiflung mit - fühlen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Weil ich sie kenne.

Ich kann mich auch sehr gut daran erinnern, als es mir nicht mehr gelang den Schein zu wahren und ich immer öfter schluchzend in Tränen ausgebrochen bin. Damals war es mir unangenehm und ich versuchte, wieder die vermeintliche „Kontrolle“ zurück zu bekommen:

mich „zusammen - zu - reißen“.


Heute weiß, daß es gut ist, wenn sich die enorme Energie Deiner unterdrückten Emotionen und die grenzenlose Erschöpfung ihren Weg an die Oberfläche bahnen. Sie sind FÜR Dich und wollen Dich aufrütteln, endlich etwas Grundlegendes zu verändern. Dieser Moment kann und sollte den Richtungswechsel einleuten.

Wir haben Zeit. Ich warte ab, bis es wieder geht.


„Es hat sich natürlich schon länger angebahnt… ich habe seinen Blick erkannt, die Fahne gerochen, die Lügen und Ausreden durchschaut und ihn schließlich auch auf die leeren Flaschen im Keller angesprochen, worauf er/sie völlig ausgerastet ist und sagte, es sei alles meine Schuld, weil…

… und es stimmt schon, daß…"


STOP!

Das ist es absolut nicht.

"Ich erkläre Dir unsere genauen Umstände..."


Um das zu sagen, muß ich weder Dich, noch Deinen Partner, oder Eure Umstände kennen.


Es spielt absolut keine Rolle, ob Du in vergangenen Zeiten einen Fehler gemacht hast, Du den Kontakt zu Deiner Freundin, Deinen Eltern oder sonst jemandem aufrecht erhältst, den er nicht leiden kann, ob Du aus seiner Sicht zu viel Druck gemacht, Dich zu viel eingemischt, oder Dich zu wenig um ihn „gekümmert“ hast, er Dich als egoistisch, untreu, oder lieblos betitelt und ohne Rücksicht auf Verluste mit Unterstellungen arbeitet, um all das als Grund für seine Rückfälle vorzuschieben.


Erstens, zwingt ihn niemand mit Dir zusammen zu sein.


Zweitens, ist Dein Partner ist ein erwachsener Mensch, richtig?

Und ja, er ist alkoholkrank. Aber diese Wahrheit zu akzeptieren und die Verantwortung für diese Krankheit und ALLE Auslöser für SEINEN/IHREN Griff zur Flasche zu übernehmen,

kann nur er/sie selber.


Drittens, ist es absolut nicht zielführend, die Schuldfrage zu stellen. Es geht nur um eine einzige Sache: Verantwortung zu übernehmen. Das ist der Schlüssel.


Es gibt nun ganz genau zwei Möglichkeiten: Entweder er übernimmt die Verantwortung für seine Krankheit, nimmt die Wahrheit an und spricht sie aus: „Ich kann niemals kontrolliert trinken und tue jetzt aktiv ALLES dafür, ein nachhaltig nüchternes Leben zu führen"...


… oder er sucht Ausreden und Sündenböcke, um seine Beziehung zu Dir UND zum Alkohol weiterführen zu können.


Das Katz und Maus Spiel einer regelrechten „Dreiecksbeziehung" beginnt, bei dem das „Zeit Schinden“ ein beliebtes Instrument ist, damit nach großen Aufregungen wieder alles möglichst schnell seinen gewohnten Gang nimmt und die Beziehung zum Alkohol bestehen bleiben kann.


Es funktioniert leider so perfekt, weil die Mechanismen der Co - Abhängigkeit den idealen Nährboden schaffen, auf dem das Suchtsystem prächtig gedeihen kann. Um die Dünger „Angst & Schuldgefühle“ kümmert sich der Alkoholkranke, da sie bewirken, daß sich der Angehörige verantwortlich fühlt:

… für die Nüchternheit des Alkoholkranken, für das Vermeiden von Triggern, für die Folgen seines Trinkens, für seine Emotionen und seine Handlungen. Das geht so weit, daß man anfängt, das (verletzende, unaufrichtige, unmögliche) Verhalten des anderen zu rechtfertigen, ihm Ausreden nach Maß auf den Leib zu schneidern und sich wie selbstverständlich schuldig fühlt. Ganz automatisch.


Und gebraucht: „Er kann ja nichts dafür… hatte eine schwierige Kindheit… Streß im Job… und schafft kann es nicht ohne mich schaffen…“


… bis das Faß wieder einmal überläuft, sich die permanent unterdrückte Wut ihren Weg bahnt und sich der Co-Abhängige mit letzter Kraft aus seiner Ohnmacht erhebt:


„Ich kann nicht mehr… jetzt reicht es mir! Ein für alle Mal!“


Dein alkoholkranker Partner merkt genau, wenn das Eis dünn wird und spielt seinen besten Joker. Er fängt an zu weinen und beteuert, daß jetzt alles anderes wird… wirklich… Hand aufs Herz… Du hast Recht… jetzt unternehme ich etwas… ich mache einen Entzug, eine Therapie, besuche eine Selbsthilfegruppe und gehe zu den AA. Du kannst mich doch nicht einfach so im Stich lassen… ich brauche Dich. Ich liebe Dich doch! Ohne Dich schaffe ich es nicht.“

Wenn Du siehst, wie er/sie weinend vor Dir sitzt, tut er Dir wieder leid und Du fühlst Dich schuldig, verantwortlich und geliebt. Deine Hoffnung klebt wie Kitt und Du möchtest wieder einmal glauben, daß er es jetzt schaffen wird. Dein Zustand ist eine diffuse Mischung aus Zuversicht, Unsicherheit und Angst… Angst, ob es dieses Mal gut gehen wird. Aber Du gehst über sie hinweg und gibst ihm eine neue „letzte Chance“, schließlich macht er nach dem Entzug eine (Langzeit-) Therapie. Das hat er ja gesagt.


Die fünf Tage des Entzugs gehen vorüber wie ein Wimpernschlag und ehe Du Deinen Akku etwas aufladen konntest, ist Dein Partner wieder zurück zu Hause.

Du fragst DICH, wie es jetzt weitergehen soll. Du fragst IHN/SIE, wie es jetzt weitergehen soll?


Dein Partner wiegelt ab und Du bekommst Angst, daß dieses Gespräch im Streit enden und das wiederum seine frische Nüchternheit gefährden könnte, während sich die Energie Deiner unterdrückten Stimmen unaufhaltsam ihren Weg bahnt und Du schließlich, trotz Deiner Verunsicherung eine zaghafte Frage formulierst:


„Du wolltest doch eine Therapie machen und eine Selbsthilfegruppe besuchen?“ Die Antwort fällt nicht zaghaft, sondern ruppig aus und läßt keinen Raum für ein Gespräch.

„Ich brauche (diesen Psycho - Quatsch) das nicht! Ich schaffe das alleine!“

Du spürst, wie sich Dein Magen zusammen krampft, weil sich das alles gerade absolut nicht richtig anfühlt…


Du suchst nach den richtigen Worten, obwohl Du weißt, daß es sie nicht gibt…

Du haderst mit Dir, beißt Dir auf die Lippe und sagst schließlich leise:


„Aber was ist denn aus Deinen Vorsätzen geworden… Du sagtest doch, daß…“


Er unterbricht Dich:


„Jetzt geht das wieder los! Kaum ist man zu Hause!“… Wie soll ich das so schaffen? Außerdem kann ich jetzt nicht weg, wie stellst Du Dir das denn vor?… vertraust Du mir etwa nicht?“

„Es ist alles deine Schuld!“


Repeat.

Du ziehst Dir den Schuh an und denkst: „Es stimmt schon, dass…“


STOP!

Es ist weder Deine Schuld, noch deine Verantwortung, ob Dein Partner trinkt, oder nicht, aber dafür sind seine Versprechen und guten Vorsätze sind nicht mehr als Schall und Rauch.


Dir Schuldgefühle einzureden ist hingegen ein sicheres Indiz dafür, daß Dein Partner sehr weit von aufrichtiger Einsicht und einem eigenverantwortlichen Handeln entfernt ist. Dir die „Schuld“ in die Schuhe zu schieben, ist nichts weiter als ein manipulativer Schachzug, um Dich weiterhin wie eine Marionette in Deiner Co - Abhängigkeit funktionieren zu lassen.

Solange Du Dich schuldig fühlst, wirst Du versuchen die Verantwortung für Deinen Partner, seine Emotionen, seine Handlungen, seine Nüchternheit, sowie die Folgen seines Trinkens zu übernehmen…


… und ganz nebenbei wirst Du auch noch sein inakzeptables Verhalten rechtfertigen, Deine Wahrnehmung wie selbstverständlich in Frage stellen, Deine Bedürfnisse übergehen, Dein Selbstvertrauen, sowie Deine Energie verlieren.


Und Dich.


Möchtest Du Dich dazu entscheiden, dieses manipulative System (endlich) zu durchbrechen, oder nimmst Du weiterhin eine Schuld zu Dir, die Dir gar nicht gehört?

Drückst Du wie mechanisch die Repeat - Taste und Ihr macht weiter wie bisher…


…bis zum nächsten Rückfall.


Oder ist es für Dich an der Zeit für einen Richtungswechsel?


Zurück zu Dir.

Zurück in Deine Kraft.

Zurück ins Vertrauen.

Zurück in Deine emotionale Freiheit.



„It always seems impossible, until it´s done.“ Nelson Mandela


Byebye Co - Abhängigkeit!

Alles Liebe,

Julia



















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