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Julia Maria Kessler

Der Schluss - Strich.

Alkoholismus ist eine chronische Krankheit, die einen Menschen bis zur Unkenntlichkeit verändern kann und deren Verlauf sich stetig entwickelt und zwar bergab, wenn keine aktive und wirklich ernst gemeinte Umkehr stattfindet.


Dass das geschieht, ist eine Tatsache und keine Frage. Die einzige Frage, die sich stellt ist, in welchem Tempo die Verwüstung eines Lebens, einer Familie, eines Körpers, einer Karriere, einer Beziehung stattfindet.


Viele Co - Abhängige, (wie auch ich lange Zeit) versuchen sich einzureden, sie hätten sich mit ihrer aktuellen Situation arrangiert. Sie wollen so sehr daran glauben, so könne es weitergehen…


Aber das ist leider Gottes ein großer Trugschluss, denn es wird weder bei dem gewohnten Konsum, noch bei den bekannten Auswirkungen bleiben. Es wird immer eine Schüppe härter... bis man aufwacht, oder es bereits zu spät ist.




Während meiner co - abhängigen Beziehung zu einem Alkoholiker war ich nach einer gewissen Zeit permanent unter Strom. Aber es gab auch Phasen, in denen sein Zustand dazu führte, daß mein zerstörtes Vertrauen und meine Unsicherheit, einer neuen Zuversicht wichen, die dazu führte, daß ich mich traute ein wenig von meinen selbstsabotierenden, co - abhängigen Strategien loszulassen.


Es war, als setzt man nach einem fürchterlichen Gewitter wieder vorsichtig und ungläubig, ob die Ruhe, nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm ist, einen Fuß ins Freie.


In meinem Fall hieß das konkret, daß ich eine Einladung annahm, eine aussprach, oder tatsächlich für kurze Zeit keine Angst vor einem Rückfall hatte, versuchte wieder zu vertrauen und seinen Versprechen glauben wollte. Doch wann immer ich das schaffte, folgten prompt die schlimmsten und heftigsten Trinkphasen, die ich mit ihm erlebt habe.


Ich erinnere mich an einen Tag, der bis dato zur Abwechslung einmal verhältnismäßig normal verlaufen ist. Ich war relativ entspannt und freute mich auf einen lustigen Nachmittag mit Freunden. Ich hatte groß eingekauft und soweit alles vorbereitet, war in meine Lieblingsjeans geschlüpft und zog dazu mein neues Top an. Alle Türen zum Garten standen offen und man konnte die frische, klare Spätsommer - Luft im ganzen Haus riechen. Ich hatte die Musik laut aufgedreht und bereitete noch einen Salat mit Burrata, Feigen, klein gehackten Pistazien und Parmaschinken vor.


Als ich sein Auto vorfahren hörte, stellte ich die fertige Platte noch schnell auf den Tisch und öffnete bestens gelaunt die Tür, um ihn mit einem Kuss zu begrüßen. Doch soweit kam es nicht, da ich ihm sofort ansah, daß er wieder getrunken hatte.


Er versuchte mit gespielt guter Laune und blöden Sprüchen seinen Zustand zu überspielen, doch das Ganze war wenig überzeugend, sondern glich eher einem wirklich miesen Schmierentheater. Er fuhr sich, wie immer wenn er nicht nüchtern war, übertrieben oft durch die Haare und sein „schwimmender“ Blick sagte alles.


Er war in einem Moment angriffslustig, im nächsten orientierungslos, um sich immer wieder in der Leere zu verlieren. Ich stand einfach nur da. Wie angewurzelt. Und da war er wieder... zwischen Jimmy Soul, Gladys Knight, Vorfreude und Dressing abschmecken: der gefühlte Schlag in die Magengrube.


Mein Herz pochte bis zum Hals, mein Atem wurde flach und ich kämpfte mit den Tränen.


Vor Wut und Enttäuschung.


Ein Orkan aus Zorn und Traurigkeit fegte durch mich hindurch, während ich weiter schwieg. Alles war perfekt. Oder sagen wir so: alles hätte, wie schon so oft, perfekt sein können! Er wußte ganz genau, wie sehr ich mich auf den Besuch und ein bißchen „Normalität“ gefreut hatte.


Die Sonne schien, die Girlanden hingen, ich hatte die schönsten Blumen in der Gärtnerei gekauft, der Tisch war im Garten gedeckt, die Jungs freuten sich und unsere Freunde waren auf dem Weg. Ich hatte alles getan, um es uns schön zu machen und konnte jetzt rein gar nichts daran ändern, daß daraus nun nichts mehr werden würde. Vielleicht ging das Ganze einigermaßen glatt über die Bühne, aber meine kurz aufgeflackerte Unbeschwertheit war nun im Keim erstickt. Natürlich spüren das auch die Menschen, die einem nahe stehen.


Sie spielen das Spiel mit, aber eine ausgelassene Stimmung, "klare Luft", sieht anders aus.


Ich wußte, daß es keinen Zweck hatte T. jetzt anzusprechen, da er nur unsachlich werden, das Trinken abstreiten und davon auch nicht nüchtern werden würde.


Sollte ich alles abblasen und den Tag somit auch für die Kinder komplett ruinieren und riskieren, daß er daraufhin einen Streit vom Zaun brechen und sich komplett wegschießen würde?


Nein.


Er würde mir die Schuld für sein Besäufnis in die Schuhe schieben. Dann wäre er wie üblich der arme, ungerecht behandelte Kerl und ich diejenige, die immer das Drama heraufbeschwört, extrem egoistisch und nur am Meckern ist. Die Tatsache, daß er ein schwerer Alkoholiker ist, dem bereits etliche Therapien in den besten Kliniken ermöglicht worden waren und ich trotz unserer schwierigen Situation einmal wieder alles versucht hatte, uns schöne Momente zu schaffen und an seine Nüchternheit zu glauben, blendete er aus.


Es ging ihm in solchen Situationen nur noch darum, die Verantwortung für sein Handeln zu leugnen und mir oder den Umständen die Schuld für sein „Elend“ zu geben. Er suchte und fand einen Sündenbock und ignorierte die Tatsache, daß er und seine Krankheit der eigentliche Grund für all das Drama waren, unter dem einige Menschen litten.


Um weiterhin von sich und der Tatsche, daß er wieder getrunken hatte abzulenken, tat er alles dafür, mich abzuwerten und meinen Selbstwert so sehr zu demontieren, bis ich aufgab, er vermeintlich Recht und vor allem, das letzte Wort hatte. Das Ganze garnierte er noch gekonnt mit Schuldzuweisungen, denn er hatte es absolut raus, sich selber schlecht zu benehmen und es irgendwie zu schaffen, daß ich diejenige war, die sich am Ende solcher destruktiven Streitereien schuldig fühlte.


Wie es mir mit all dem ging, interessierte ihn nicht. Alles drehte sich um ihn, seine Probleme und seine Wahrheit, die er sich gekonnt zurecht bog, wie er es gerade brauchte.


Also tat ich, was ich immer tat, solange er sich noch halbwegs unter Kontrolle hatte: ich unterdrückte meine Enttäuschung, meine Traurigkeit, meine überbordende Wut und die Angst was noch passieren würde und versuchte, seinen Zustand vor allen anderen zu überspielen.


Ich machte wie immer in solchen Situationen, gute Miene zum bösen Spiel, während ich innerlich brodelte.


Jedes Mal, wenn er aus meinem Blickfeld verschwand wußte ich, daß er wieder heimlich zur Flasche greifen würde und hoffte, daß es wenigstens kein Wodka, sondern „nur“ ein Bier war.


Ich betete, daß er nicht noch mehr peinlichen Schmarren erzählen und auch für die anwesenden Kinder immer offensichtlicher betrunken werden würde. So sehr ich mich auf diesen Nachmittag gefreut hatte, so sehr betete ich nun, daß er möglichst schnell und vor allem ohne großes Drama vorübergehen, die Nacht, oder die darauffolgenden Tage nicht wieder in einer Notaufnahme enden würden.


Doch es dauerte auch dieses Mal nicht lange und der Alkohol übernahm wieder komplett die Kontrolle. In dem anschließenden Entzug, plus beinahe schon obligatorischer Therapie in einer sündhaft teuren Klinik, fand er in einem Schrank ein Sterilium und trank es.




Ich freue mich für alle Menschen, Familien und Paare, die es schaffen, selbstbestimmt und glücklich mit dieser chronischen Krankheit zu leben, weil es die nachhaltige und aufrichtige Kapitulation vor dem Alkohol möglich gemacht hat.


Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß es leider auch einige Betroffene gibt, die das nicht schaffen, bei denen kein Schuss vor den Bug Wirkung zeigt, die jede neue Chance mit Füßen treten, oder sie nicht einmal als solche erkennen, wenn sie direkt vor ihrer Nase baumelt und die nicht selten alles verlieren, was ihnen lieb und teuer ist und eines Tages an den Folgen ihres Trinkens sterben. Rolf Bollmann, trockener Alkoholiker, Autor und Suchttherapeut sagte einmal zu mir:


„Solange er seine Therapeuten an der Nase herum führt, nicht ehrlich zu sich selber ist, nicht von seinem Hochmut zur Demut findet und sich von seinem Ego steuern läßt, daß ihm einredet, er hätte alles im Griff und alle anderen keine Ahnung, wird er es nicht schaffen."


Er hatte Recht.


Ich ließ los und hörte auf zu kämpfen… um seine Nüchternheit, oder um die schöne Anfangszeit unser Beziehung. Ich erkannte, daß er derjenige geworden war, der mir permanent emotionale Wunden zufügt und ich diejenige, die darauf wartete, daß er sie wieder verarztet. Ich war nicht mehr bereit, mich aus Angst vor den Konsequenzen länger in diese toxische Beziehung voller Abhängigkeiten zu flüchten.


Ich ließ los: die Verantwortung für ihn, die Schuldgefühle, die er mir so oft erfolgreich eingeredet hatte und die Wunschvorstellung einer Beziehung mit diesem Mann, die nur noch in einer zukünftigen Phantasieblase existierte. Ich begann den Fokus wieder auf mich zu richten, mich auf meine Stärken zu konzentrieren und großen Abstand zu dem Leben zu schaffen, für das ich so lange Zeit mit meinen authentischen Selbst und meinem inneren Frieden bezahlt hatte.


Heute bin ich emotional frei.



Byebye Co - Abhängigkeit!

Alles Liebe,

Julia



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