Als ich die Krankheit Alkoholismus endlich verstanden hatte, und somit auch die daraus resultierende Co - Abhängigkeit, in der ich mich jahrelang befand, verspürte ich plötzlich den überbordenden Wunsch, die für mich richtungsändernden Erkenntnisse, die es mir schließlich ermöglichten die zerstörerischen Muster zu durchbrechen, zu teilen.
Ich konnte kaum glauben, daß mir weder ein Arzt, noch ein Therapeut das, was ich mir selber erarbeitet hatte, zuvor erklären konnte.
Stattdessen bekam ich Antidepressiva verschrieben. Das war tatsächlich alles, was dem Professor, der als Koryphäe auf dem Gebiet der Suchterkrankungen gilt, zu meinem Zustand einfiel.
Fast als ginge es darum, daß ich als Partnerin seines alkoholkranken Patienten weiterhin funktionierte, anstatt mir die Augen zu öffnen, daß ich co - abhängig, und es höchste Zeit war, die manipulativen, zerstörerischen Fesseln dieses Zustands endlich zu sprengen. Schließlich litt ich nicht an einer nicht nachvollziehbaren gedrückten Stimmung, oder unbegründeter Antriebslosigkeit, sondern an den Folgen des Zusammenlebens mit einem Alkoholiker. Es ist wohl eher unwahrscheinlich, daß sich daran durch die Einnahme von Tabletten etwas ändern konnte. Doch ich bekam nichts weiter als gedankenschweres Stirnrunzeln, verständnisvolles Nicken, ein Rezept und einen festen Händedruck zum Abschied. Nicht zu vergessen die Rechnung für diese bahnbrechende Sitzung. Und somit ging es direkt zurück zur Tagesordnung, und alle Aufmerksamkeit war wie zuvor auf den Alkoholiker fokussiert. Ich sollte als Fazit der Erkenntnis dass ich nicht mehr konnte, ich am Ende meiner Kräfte war, ab sofort ganz einfach T. und mir Medikamente verabreichen. Das war´s.
Meine Erfahrung ist, daß der Co - Abhängige einfach hinten runterfällt.
Von allen Medizinern und Therapeuten, die ich um Rat gebeten habe, konnte mir keiner weiterhelfen. Nicht ein einziger. Und gibt es ziemlich wahrscheinlich für alle anderen Themen einen Ansprechpartner und gute Ratgeber, oder sogar Spezialisten im Freundeskreis und der Familie, so einsam und alleine steht man auch hier mit dieser Krankheit da. Das liegt zum einen daran, daß zwar jeder eine Meinung zu Alkoholismus hat, aber kaum jemand wirklich versteht, wie diese Krankheit funktioniert. Daraus resultieren wiederum bei den meisten Menschen be -, oder vielmehr abwertende Meinungen, weshalb man sich als Betroffener noch mehr schämt und es so schwer fällt, sich jemandem anzuvertrauen.
Normalerweise erfährt man im Krankheitsfall Mitgefühl und Verständnis, nicht so in diesem speziellen Fall.
Viele Menschen glauben nicht einmal daran, daß es sich bei Alkoholismus überhaupt um eine Krankheit handelt.
Sie schwingen selbstgerechte Reden und erklären Dir, daß es nur eine Frage des Willens sei, daß ein alkoholkranker Mensch jederzeit aufhören könne zu trinken. Wenn er es wirklich will. Manche machen sogar Dich dafür verantwortlich, wenn Dein alkoholkranker Partner eine schlechte Phase hat. Es fühlt sich nicht besonders gut an, solche Äußerungen zu hören, denn sie bewirken, daß man anfängt sich zu rechtfertigen, als säße man auf einer Anklagebank. Die einen wollen wissen warum Du das mitmachst, die anderen erklären Dir in vorwurfsvollem Ton, daß er nicht nüchtern ist, als sei es Deine Verantwortung, oder vielleicht sogar Deine Schuld. Die Nächsten belehren Dich was Du zu tun und zu lassen hast, obwohl sie keine Ahnung haben, sie selber keinen einzigen Meter in Deinen Schuhen gelaufen sind.
Man windet sich in Erklärungen, fühlt sich schuldig, versucht zu beweisen daß man alles im Griff hat, oder zu vermitteln, daß es eben nicht so einfach ist... und im selben Moment weiß man schon längst, daß solche Gespräche alles andere als als hilfreich sind, und versucht ganz einfach, sie in der Zukunft so gut es geht zu vermeiden.
Stell Dir vor, Du wärst bei einem Ladies Geburtstagsfrühstück eingeladen. Würde eine der Damen erzählen, daß eine schlimme Krankheit bei ihrem Mann diagnostiziert wurde, würde sie, auch von denjenigen die sie nur ganz flüchtig oder gar nicht kennt, mit Anteilnahme überschüttet werden. Man wäre kollektiv bestürzt, und sie bekäme sicherlich haufenweise Angebote der Unterstützung, und Empfehlungen für die allerbesten Ärzte.
Und was denkst Du würde passieren, wenn Du in so einer Runde erzählst, daß Dein Mann Alkoholiker ist, er letzte Nacht wieder ins Bett gepinkelt hat und Du ihn regelmäßig vom Boden aufkratzen musst, weil er nicht mehr in der Lage ist, alleine auf seinen Beinen zu stehen?
Wenn Du zwischen Croissant und Latte Machiato offen darüber sprechen würdest, daß eine Gerichtsverhandlung ansteht, weil er betrunken Auto gefahren ist, und Du beim letzten Mal Rasenmähen leere Wodkaflaschen im Garten gefunden hast...
Betretenes Schweigen wäre wahrscheinlich noch das Beste, was man Dir entgegen bringen würde. Vielleicht gäbe man sich nach der anfänglichen peinlichen Stille sogar mitfühlend. Doch was würde über Euch geredet werden, sobald Du den Raum verlassen hast? Eben.
Basierend auf meinen Erfahrungen behaupte ich, daß man ganz einfach niemals offen erzählen würde, was man als Betroffener von Alkoholismus durchmacht. Denn obwohl es sich um eine Krankheit handelt, die eines der größten Gesundheitsprobleme unserer Zeit darstellt, haben viele Menschen doch eher Verachtung als Mitgefühl für sie übrig. Man wertet, tratscht, tuschelt und rümpft die Nase.
Denn an Alkoholismus haftet eine regelrechte Stigmatisierung aus Irrglaube, Vorurteilen, Unverständnis, Bewertung und Scham, was es den Co - Abhängigen umso schwerer macht, ihre Isolation zu durchbrechen, sich jemandem anzuvertrauen und sich Hilfe zu suchen.
Du möchtest nicht die abwertenden Blicke die sagen "selber schuld" und Kommentare, wie "dieser blöde Idiot", oder "soll er doch einfach aufhören zu saufen" ertragen, wenn Du ohnehin schon verunsichert, ratlos und erschöpft bist. Also verstärkt sich das co - abhängige Verhalten des Vertuschens und Versteckens noch mehr, was aber leider sowohl die Situation des Alkoholkranken, als auch die des Co - Abhängigen zusehends verschlimmert.
Früher oder später spielt der Co - Abhängige eine Rolle, von der es keine Auszeit mehr gibt, und er verliert nicht nur seine Energie und seine Lebensfreude, sondern vor allem sich selber.
Man kommt an einen Punkt, an dem man nach dramatischen Nächten, Tränen, Enttäuschung, Streitereien, Blackouts, Stürzen und Notarzteinsätzen keine Kraft mehr hat, in einer fröhlichen Runde vorzuspielen, es ginge einem gut. Darüber reden, warum man total fertig und übernächtigt ist kann man auch nicht. Also fängt man an Verabredungen abzusagen. Immer öfter.
Und wenn Du dich hin und wieder doch den Menschen öffnest, die Dir nahe stehen, und die sogar verständnisvoll sein möchten, ist dennoch nicht zu erwarten, daß sie Dir hilfreiche Tipps geben werden. Schlicht und ergreifend, weil sie es nicht können. Denn der Großteil Deiner Freunde und Deiner Familie werden die Situation mit der üblichen Ratio analysieren und beurteilen, was im Falle dieser Krankheit leider meist eher destruktive Auswirkungen hat, selbst dann, wenn es noch so gut gemeint ist. Deshalb erzählt man auch den engsten Vertrauten nur Fragmente der ganzen Wahrheit, wodurch man sich selber letztendlich auch noch von seinen wichtigsten Bezugspersonen isoliert. Und am Ende des Tages steht man meistens alleine da, oder fühlt sich zumindest so. In einer Phase, in der ich mich der Krankheit gegenüber endgültig völlig orientierungslos ausgeliefert fühlte, traf ich durch Zufall, Schicksal, oder Fügung, auf den trockenen Alkoholiker Rolf Bollmann.
Er arbeitete bis zu seinem persönlichen Tiefpunkt als Manager in einem amerikanischen Konzern, hatte eine Familie, ein schönes Haus, einen schicken Wagen mit Chauffeur und trug Designeranzüge von Dior und Krawatten von Hermès. Rolf hatte 37 Jahre lang Alkohol getrunken. Nachdem er sein ganzes Vermögen versoffen, vierzehn Autos zu Schrott gefahren, und alles verloren hatte, was ihm lieb und teuer war, schaffte er es in letzter Sekunde seine Nüchternheit in einem County Detox in den USA zu erlangen. Diese hält nun schon 27 Jahre lang an.
Er war es, der mich an die Hand nahm, mir die Augen geöffnet und mir dadurch ermöglicht hat, die alten zerstörerischen Muster aufzulösen.
Denn erst als ich durch ihn die Krankheit und die Co - Abhängigkeit endlich wirklich verstanden hatte, konnte ich einen neuen Weg einschlagen, der mich nach und nach zurück zu mir, und zurück zu meiner Kraft geführt hat.
Je mehr ich begriff, und umso besser es mir ging, desto klarer wurde mir, wie all diese Erfahrungen einen tieferen Sinn bekommen konnten, was das Geschenk dahinter war. Ich hatte es für mich aufgelöst, und wollte es nun weitergeben. Wie Rolf an mich.
Die Vorstellung, die Summe meiner Erkenntnisse mit anderen Betroffenen zu teilen, machte mich so euphorisch und glücklich, daß ich sofort überlegte wie ich das anstellen könnte. Ich begann ein Buch zu schreiben, fand die Agentur "contact my agengy", die mich bei diesem Projekt unterstützen möchte, und meldete mich zu einer Coach - Ausbildung bei der Dr. Bock Academy in Zürich an.
Außerdem wollte ich mit den Vorurteilen und Bewertungen rund um die Krankheit Alkoholismus aufräumen, und Co - Abhängige dazu ermutigen, sich zu trauen ohne Scham über ihre Situation zu sprechen.
Schließlich sind Alkoholiker nicht alles willensschwache, asioziale Dummköpfe, sondern Menschen jeden Bildungsgrades, jeder Schicht, jeden Charakters, und jeder Einkommensklasse, genau wie die unzähligen Co - Abhängigen in ihrem Umfeld.
Im Zuge dieser Entwicklungen, fragten mich einige meiner engsten Vertrauten, ob ich all das nicht lieber unter einem Pseudonym machen wolle, da die Reaktionen sicherlich nicht nur positiv ausfallen würden. Es hieß "Du weißt doch wie manche Leute drauf sind... wie böse sie über Euch reden werden." Und ich muß zugeben, daß mich diese Aussicht nicht gerade ermutigte, weiterhin an meiner Idee festzuhalten. Denn auch wenn ich mich wild entschlossen gab, dachte ich insgeheim auch genau darüber nach, und war selber hin- und hergerissen.
Doch im Laufe des ganzen Prozesses, kristallisierte sich für mich meine Vision immer klarer heraus. Ich wollte aufhören mich zu verstecken, und einem der größten gesundheitlichen Problemen unserer Zeit ein Gesicht geben. Mein Wunsch, anderen Co - Abhängigen Mut zu machen den Teufelskreis zu durchbrechen, und meine Erfahrungen auf verschiedenen Wegen zu teilen, um zu zeigen, daß es einen Ausweg aus dieser halsbrecherischen Abwärtsspirale gibt, wurde nach und nach größer als meine Angst vor Kritik. Ich wollte damit beginnen, die offene Kommmunikation zu diesem Tabuthema, die für die Aufklärung so unerlässlich ist, zu fördern.
War es also glaubwürdig, für einen offenen Umgang mit einer tabuisierten Krankheit zu plädieren, und sich gleichzeitig zu verstecken? Ich denke nicht.
Als ich Freunden und Familie meinen Entschluss mitteilte, meinen richtigen Namen zu benutzen, blieb die Skepsis bei manch einem ungebrochen bestehen. "Aber es wird Leute geben, die verbal über Dich herfallen werden." Man befürchtete nach wie vor, daß ich unter bösartigen Shitstorms untergehen könnte.
Doch wie es der Zufall oder das Universum wollte, stieß ich in der Zeit des Zweifelns auf den Podcast des Amerikaners Lewis Howes. Er sprach in einer Folge darüber, wie er sich irgendwann dazu entschied, öffentlich über den sexuellen Missbrauch zu spechen, den er als Kind erleiden mußte. Er erzählte, wie groß seine Ängste über die Reaktionen darauf waren. Ich wurde hellhörig und hing wie gebannt an seinen Worten. Lewis berichtete von einem Mentor, der ihm klarmachte, daß es ein Irrglaube ist, man könne es jemals allen recht machen. Er prophezeite Lewis, daß er niemals losgehen wird, wenn er weiterhin auf den Moment warten würde, ab dem er sich sicher sein konnte, daß ihm alle ermutigend auf die Schulter klopfen werden.
Denn die Wahrheit ist, daß es diesen Moment niemals geben wird.
Lewis erkannte schließlich, daß es nicht darum ging die Kritiker zu beeinflussen, oder in ihrer Meinung umzustimmen, sondern darum, ein "Warum" zu haben, daß viel größer ist, als die Angst nicht von jedem für seine Entscheidung, seine Vision oder sein Handeln Applaus zu ernten.
Dieser Gedanke sprengte meine Fesseln der Befürchtungen von einer Sekunde zu anderen.
Sollte man sich selber den Mund zuhalten und sich daran hindern loszugehen, weil es Menschen geben wird, denen nicht gefällt was man zu sagen hat? Warten wir auf den Moment, wo scheinbar alles so perfektioniert ist, dass es keine Angriffsfläche mehr gibt?
Dann warten wir ewig.
Beugen wir uns freiwillig unserem Ego, das Angst vor Abwertung und negativer Bewertung hat, oder definieren wir stattdessen unseren Sinn so klar wie möglich, damit er uns die Richtung zu unserem Ziel weist?
Fokussieren wir uns auf die Menschen, denen nicht gefallen wird was wir tun, oder auf diejenigen, für die wir es tun?
Glauben wir wirklich, man kann jemals den Meinungen, Werten und dem Geschmack jedes einzelnen entsprechen? Gehen wir tatsächlich davon aus, wir hätten Einfluß darauf was andere über uns denken? Ich glaube das nicht, zumal die Schublade, in die Dich jemand steckt, oder
wie er Dich behandelt, vielmehr über seine Person, als über Dich aussagt.
Wollen wir also freiwillig wegen den Stimmen stehen bleiben, die uns verletzen und kritisieren werden, oder laufen wir für unsere Visionen, Träume und diejenigen los, mit denen wir etwas
teilen möchten?
Ich muß heute nicht mehr nachdenken, um mir diese Frage zu beantworten.
Byebye Co - Abhängigkeit!
Alles Liebe,
Julia
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