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Nüchtern... und jetzt?


Die lang ersehnte Nüchternheit führt in nicht wenigen Beziehungen zur Ernüchterung der ganz anderen Art. Denn wenn man sich jahrelang wie mechanisch als Rädchen in einem co - abhängigen Suchtsystem gedreht hat, muß man sich als Paar, sobald dieses gestoppt ist, komplett neu erfinden, wenn man nicht in einer neuen Form von toxischer Beziehung leben möchte. Anstelle der, dem unkontrollierten Alkoholkonsum geschuldeten Dramen, Streitereien, Verletzungen, Probleme, und der sich daraus ergebenen Strukturen, treten oft Enttäuschung und Orientierungslosigkeit.


Die lang ersehnte Nüchternheit löst nicht alle Probleme, und führt leider nicht automatisch zu einer glücklichen Partnerschaft und einem erfüllten Leben, sondern häufig zu Distanzierung voneinander, Verunsicherung und gegenseitigen Vorwürfen, die nicht selten in Verbitterung enden.


Schlimmsten Falls dreht sich plötzlich alles nur noch um die Schuldfrage, die keinen Menschen jemals weiter gebracht hat.


Eine trockene Alkoholikerin stellte mir die Frage, wie sie die Schuld gegenüber ihrem Mann jemals abtragen könne. Meine Antwort darauf lautet: gar nicht!


Denn sowohl sie, als auch auch er, können ausschließlich ihr eigenes Handeln und Denken beeinflussen. Das bedeutet, daß jeder lediglich dafür sorgen kann, mit sich selber ins Reine zu kommen, zu reflektieren, zu heilen und zu vergeben. Diesen Weg kann kein anderer für uns gehen.Ein Rollenspiel aus Opfer und Täter, Schuld und Vorwurf ist hingegen ein Garant dafür, das, was von einer Beziehung vielleicht noch übrig ist, vollends zu zerstören.

Das beinhaltet in diesem speziellen Fall, die Mechanismen der Co - Abhängigkeit zu begreifen, und Alkoholismus als eine Krankheit zu verstehen, die trotz ihrer häßlichen Auswirkungen keinen moralischen Aspekt hat.


Erst als ich all das wirklich zu einhundert Prozent verstanden hatte, konnte ich die Opferrolle verlassen, und wieder die Verantwortung für mein Glück übernehmen. Hast Du diese Stufe erklommen, bist Du in der Lage zu vergeben, was eines der kraftvollsten und essenziellsten Shifts zu einem glücklichen, und emotional freien Leben ist. Denn solange wir glauben, daß ein anderer Mensch für unser Unglück verantwortlich ist, bedeutet das im Umkehrschluß, daß wir selber keinen Einfluß auf das Drehbuch unseres eigenen Lebens haben. Wie unendlich deprimierend klingt für Dich dieser Gedanke? Möchtest Du ihm weiterhin glauben, oder ihn gehen lassen?


Jeder Mensch, der, egal in welcher Form, unter Alkoholismus gelitten hat, muß diese tief prägenden Erfahrungen, den Schmerz und die Ängste für sich selber auflösen. Es heißt, sich daran zu erinnern, wer man ist, und wieder zu lernen, sich selber zu lieben.


Der alte zerstörerische Trott fällt zwar weg, und dennoch kann sich, anstatt Erfüllung, zunächst eine riesengroße Leere auftun, die mit Neuem gefüllt werden will.


Man könnte diesen Prozeß der Heilung mit einem Dominoeffekt in eine transformierende Richtung vergleichen. So wie man sich bisher in einer Abwärts - Spirale befand, führt auch jetzt eines zum anderen. Aber ab sofort FÜR Dich! Das Verstehen der Krankheit bringt Einsicht, die Einsicht befähigt einen zu vergeben, - sich und dem anderen -, die Vergebung ermöglicht einen den Groll, der einen selber, langsam aber sicher vergiftet, wieder los zu werden. Ansonsten läuft man Gefahr, seine Identität aus dem Schmerz der Vergangenheit zu erschaffen, der in der Gegenwart wenig Platz für Glück und Zufriedenheit ermöglicht. Dieser befreiende, Augen öffnende Prozeß verlangt, sich mit der eigenen Person auseinanderzusetzen, seiner Intuition wieder zu vertrauen, sich kennen und lieben zu lernen.


Wenn zwei Menschen, einer von Alkoholismus zerbröckelten Beziehung sich auf diesen Weg begeben, ist auch das keine Erfolgsgarantie für ein gemeinsamen Happy End, aber es ist die unabdingbare Voraussetzung, um es überhaupt möglich zu machen, und das Vertrauen wieder aufzubauen.


Denn nur wenn sich beide gegenseitig vergeben möchten und können, ihr eigenes Handeln der Vergangenheit reflektieren, und sich selber mit all dem annehmen können was geschehen ist, ist in der Zukunft eine erfüllende Partnerschaft möglich. Und da wäre ja auch noch der nicht zu unterschätzende Alltag mit allem, was dazu gehört, und in Bezug auf den Alkoholismus auch eine wichtige und tragende Rolle spielt.


Die so lange fest gefahrenen Rollen fallen weg, und nun heißt es, sich von den alten Mustern und Ängsten zu lösen, und das Leben mit neuen Inhalten, Gedanken und Aktivitäten zu füllen. Meistens verabschiedet man sich in diesem Prozeß zwangsläufig von einigen Wegbegleitern, und es ist ratsam, gewisse, vom Trinken „entweihte“ Locations zu meiden, und sich insgesamt neu zu orientieren. Bei dem Alkoholkranken kommt meist noch die Angst, ohne seinen Stoff zu versagen, hinzu. Viele nüchterne Alkoholiker fürchten ihre Leistung, ihre Beleibtheit, die Qualität als Liebhaber, oder ihren Witz ohne den Alkohol zu verlieren. Aus diesem Grund ist die Entwaffnung der Dämonen, die Selbstannahme, sowie das Erschaffen eines neuen, stabilen Lebensfundaments so unendlich wichtig.


Somit ist die heiß ersehnte Nüchternheit zwar der allerwichtigste und erste, aber keineswegs der letzte Schritt auf dem Weg in ein erfülltes Leben mit der chronischen Krankheit Alkoholismus.


Um sich dieses erschaffen zu können, sollte jeder der Betroffenen einer Familie an dieser Aufarbeitung, und der Rückkehr zu sich selber arbeiten. Ansonsten wird die Enttäuschung nicht lange auf sich warten lassen. Verdrängen wird nicht funktionieren, soviel steht fest. Es funktioniert nie! Denn solange der Vorwurf und die Ängste weiterhin mit unter einem Dach wohnen, werden sie mit vereinten Kräften jeglicher wahrhaftiger Annäherung, und neu gewonnenem Vertrauen im Wege stehen.




Don´t you know I´m still standing better than I ever did

Looking like a true survivor, feeling like a little kid

I´m still standing after all this time

Picking up the pieces of my life without you on my mind


ELTON JOHN



Byebye Co - Abhängigkeit!

Alles Liebe,

Julia






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